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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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etwas war. Er hätte es fast getan, am Abend der Zeremonie. Er hob die Hand, als wollte er mein Gesicht streicheln; ich drehte den Kopf zur Seite, um ihn zu warnen, in der Hoffnung, daß Serena Joy es nicht bemerkt hatte, und er zog seine Hand zurück, zog sich in sich selbst zurück, auf seine zielstrebige Reise.
    Tu das nicht wieder, sagte ich zu ihm, als wir das nächste Mal allein waren.
    Was? fragte er.
    Versuchen, mich zu streicheln, wenn wir … wenn sie dabei ist.
    Habe ich das getan? fragte er.
    Damit kannst du erreichen, daß ich in die Verbannung geschickt werde, sagte ich. In die Kolonien. Du weißt das ganz genau. Oder daß mir noch Schlimmeres geschieht. Ich meinte, er solle in der Öffentlichkeit auch weiterhin so tun, als wäre ich eine große Vase oder ein Fenster: ein Teil des Hintergrunds, unbelebt oder durchsichtig.
    Es tut mir leid, sagte er. Das wollte ich nicht. Aber ich finde es so…
    Wie? fragte ich, als er nicht fortfuhr.
    Unpersönlich, sagte er.
    Und wie lange hast du gebraucht, um das herauszufinden? fragte ich. An der Art, wie ich mit ihm sprach, kann man sehen, daß wir schon ein anderes Verhältnis hatten.
     
    Für die kommenden Generationen, sagte Tante Lydia, wird es sehr viel besser sein. Die Frauen werden in Harmonie zusammenleben, alle in einer Familie; ihr werdet wie Töchter für sie sein, und wenn die Bevölkerungszahl sich normalisiert hat, werden wir euch nicht von einem Haus zum andern versetzen müssen, weil es dann genug für alle gibt. Es kann Bande wahrer Zuneigung geben, sagte sie und zwinkerte uns einschmeichelnd zu, unter solchen Bedingungen. Frauen, zu einem gemeinsamen Ziel vereint! Einander bei den täglichen Pflichten behilflich, während sie zusammen den Pfad des Lebens beschreiten und jede die ihr zugewiesene Aufgabe verrichtet. Warum soll man von einer Frau erwarten, daß sie alle Funktionen erfüllt, die zur heiteren Führung eines Haushalts gehören? Das ist weder vernünftig noch menschlich. Eure Töchter werden größere Freiheiten haben. Das Ziel, auf das wir hinarbeiten, ist ein kleiner Garten für jede, jede von euch – wieder die gefalteten Hände, die hauchende Stimme –, und das ist nur eines, nur ein Beispiel. Der erhobene Zeigefinger, der uns droht. Aber wir dürfen nicht gierig sein wie die Schweine und zu viel verlangen, bevor es soweit ist, nicht wahr?
    Tatsache ist, daß ich seine Geliebte bin. Männer an der Spitze haben immer Mätressen gehabt, warum sollte es jetzt anders sein? Die Arrangements sind nicht ganz die gleichen, zugegeben. Früher wurde die Mätresse in einem eigenen bescheideneren Häuschen oder in einer Wohnung gehalten, und jetzt ist alles fusioniert. Aber unter dieser Oberfläche ist es das gleiche. Mehr oder weniger. Außenfrauen wurden sie früher in manchen Ländern genannt. Ich bin die Außenfrau. Es ist meine Aufgabe, das zu bieten, was sonst fehlen würde. Das Scrabble gehört dazu. Es ist eine absurde und zugleich eine schmähliche Position.
    Manchmal denke ich, daß sie es weiß. Manchmal denke ich, daß sie eine geheime Absprache haben. Manchmal denke ich, daß sie ihn darauf gebracht hat und über mich lacht – so wie ich, von Zeit zu Zeit, und mit Ironie, über mich lache. Laß sie ruhig die Last tragen, kann sie sich sagen. Vielleicht hat sie sich mehr oder weniger vollständig von ihm zurückgezogen; vielleicht ist das ihre Version von Freiheit.
    Aber trotz allem und törichterweise bin ich glücklicher als vorher. Zum einen gibt es mir etwas zu tun. Es ist etwas, um die Zeit totzuschlagen, abends, statt allein in meinem Zimmer zu sitzen. Es ist etwas Neues, worüber ich nachdenken kann. Ich liebe den Kommandanten nicht, nicht im entferntesten, aber er ist von Interesse für mich, er nimmt Raum ein, er ist mehr als ein Schatten.
    Und ich für ihn. Für ihn bin ich nicht mehr nur ein benutzbarer Körper. Für ihn bin ich nicht einfach nur ein Boot ohne Ladung, ein Kelch ohne Wein darin, ein Backofen – grob gesagt – ohne hineingeschobenes Brot. Für ihn bin ich nicht nur leer.
     

Kapitel siebenundzwanzig
    Ich gehe mit Desglen die sommerliche Straße entlang. Es ist warm, feucht; früher wäre dies das richtige Wetter für ein Sonnenkleid und Sandalen gewesen. In jedem unserer beiden Körbe sind Erdbeeren – es ist jetzt Erdbeerzeit, also werden wir Erdbeeren essen und essen, bis uns schlecht wird – und ein Stück eingewickelter Fisch. Den Fisch haben wir bei Brote und Fische bekommen, in dem Laden mit

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