Der Report der Magd
Stock, was bedeutete, daß ich Lärm von oben und unten abbekam, von zwei unerwünschten Stereoplattenspielern, die bis spät in die Nacht dröhnten. Studenten, wie ich wußte. Ich hatte damals noch meinen ersten Job, der nicht viel Geld einbrachte: ich arbeitete bei einer Versicherungsgesellschaft am Computer. Die Hotels mit Luke bedeuteten deshalb nicht nur Liebe oder auch nur Sex für mich. Sie bedeuteten auch Abstand von den Küchenschaben, dem lecken Spülbecken, dem Linoleum, das sich in Fetzen vom Fußboden löste, und von meinen eigenen Versuchen, mit dem Anheften von Plakaten an der Wand und dem Aufhängen von Prismen in den Fenstern das Ganze etwas freundlicher zu gestalten. Ich hatte auch Topfpflanzen, doch sie bekamen regelmäßig Spinnmilben oder gingen ein, weil sie nicht gegossen wurden. Ich ging mit Luke fort und vernachlässigte sie.
Ich sagte, es gebe mehr als eine Art, den Kopf in den Sand zu stecken, und falls Moira dächte, sie könne Utopia herbeischaffen, indem sie sich in einer Enklave einschließe, in der nur Frauen zugelassen seien, so befinde sie sich in einem bedauerlichen Irrtum. Die Männer würden nicht einfach von der Bildfläche verschwinden, sagte ich. Man könne sie nicht ignorieren.
Das ist, wie wenn du sagen würdest, daß man losziehen und sich die Syphilis holen soll, nur weil sie nun einmal existiert, sagte Moira.
Willst du damit sagen, daß Luke eine Geschlechtskrankheit ist? sagte ich.
Moira lachte. Hör uns bloß mal zu, sagte sie. Scheiße. Wir reden wie deine Mutter.
Da lachten wir beide, und als sie ging, umarmten wir uns wie gewöhnlich. Es gab eine Zeit, da umarmten wir uns nicht – es war, nachdem sie mir erzählt hatte, daß sie lesbisch sei; aber dann sagte sie, ich würde sie sowieso nicht anturnen, was mich beruhigte, und daraufhin umarmten wir uns wieder. Wir konnten uns streiten und zanken und beschimpfen, aber unter der Oberfläche veränderte das gar nichts. Sie war trotzdem meine beste Freundin.
Ist.
Danach bekam ich eine bessere Wohnung, in der ich dann die zwei Jahre wohnte, die Luke brauchte, um sich loszulösen. Ich zahlte die Miete selbst, mit meinem neuen Job. Ich arbeitete in einer Bibliothek, nicht in der großen mit dem Tod und dem Sieg, sondern in einer kleineren.
Meine Arbeit bestand darin, Bücher auf Computerdisketten zu übertragen, um Lager- und Wiederbeschaffungskosten zu senken, hieß es. Diskettierer nannten wir uns. Die Bibliothek nannten wir Diskothek – einer unserer Witze. Nachdem die Bücher übertragen worden waren, sollten sie eigentlich in den Reißwolf wandern, aber manchmal nahm ich welche mit nach Hause. Mir gefiel, wie sie sich anfühlten und wie sie aussahen. Luke sagte, ich hätte das Zeug zu einem Antiquar. Ihm gefiel das, er selber mochte auch alte Dinge gern.
Jetzt ist es merkwürdig, daran zu denken, wie es war, Arbeit zu haben, zur Arbeit, ins Büro, ins Geschäft zu gehen. Geschäft – ein komischer Ausdruck. Geschäftsmann, Geschäftemacherei. Mach dein Geschäftchen, sagte man früher zu Kindern, wenn sie zur Sauberkeit erzogen wurden. Oder von Hunden: Er hat sein Geschäft auf dem Teppich gemacht. Dann sollte man ihnen mit einer zusammengerollten Zeitung einen Klaps geben, sagte meine Mutter. Ich kann mich an die Zeit erinnern, als es Zeitungen gab, aber einen Hund habe ich nie gehabt, nur Katzen.
Geschäftsunfähig.
All die Frauen, die ins Geschäft gingen – wie schwer, sich das heute vorzustellen. Und doch: Tausende gingen arbeiten, Millionen. Es wurde als völlig normal angesehen. Jetzt ist es wie eine Erinnerung an die Zeit, als es noch Papiergeld gab. Meine Mutter hob ein paar Scheine auf, klebte sie mit frühen Fotos in ein Album. Damals war das Papiergeld schon veraltet, man konnte nichts mehr damit kaufen. Wertloses Papier, das sich weich und fettig anfühlte, grün, mit Bildern auf beiden Seiten, einem alten Mann mit einer Perücke und auf der anderen Seite eine Pyramide mit einem Auge darüber. Und mit den Worten: Auf Gott vertrauen wir. Meine Mutter erzählte, manche Leute hätten neben ihrer Ladenkasse ein Schild gehabt, als Witz: Auf Gott vertrauen wir, alle anderen zahlen bar. Das wäre heutzutage Blasphemie.
Man mußte solche Papierfetzen mitnehmen, wenn man einkaufen ging, obwohl zu der Zeit, als ich neun oder zehn war, die meisten Leute schon Plastikkarten benutzten. Allerdings nicht für Lebensmittel, das kam später. Es wirkt so primitiv, geradezu totemistisch, wie Muschelgeld.
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