Der Report der Magd
umbringen können. Aber ich werde die Vorstellung nicht los, daß er dort drinnen ist, hinter den nackten roten Ziegelsteinen.
Ich versuche mir vorzustellen, in welchem Gebäude er sich befindet. Ich erinnere mich daran, wo die Gebäude innerhalb der Mauer sind – wir konnten dort frei umhergehen, als es noch eine Universität war. Wir gehen immer noch hin und wieder hinein, zu den Frauen-Errettungen. Auch die meisten Gebäude sind aus roten Ziegelsteinen; manche haben Türen mit Rundböden, ein romanisch anmutendes Element aus dem neunzehnten Jahrhundert. Jetzt dürfen wir nicht mehr in die Gebäude hinein; aber wer würde dort auch hineingehen wollen? Diese Gebäude gehören jetzt den Augen.
Vielleicht ist er in der Bibliothek. Irgendwo in den Gewölben. Den Magazinen.
Die Bibliothek ist wie ein Tempel. Eine lange Flucht weißer Stufen führt zu der Reihe der Eingangstüren. Dann, drinnen, eine weitere weiße Treppe, die nach oben führt. Zu beiden Seiten der Treppe an der Wand sind Engel zu sehen. Auch kämpfende Männer sind dort, oder Männer, die im Begriff sind, zu kämpfen, sauber und edel sehen sie aus, nicht schmutzig und blutbefleckt und stinkend, wie sie in Wirklichkeit ausgesehen haben müssen. Die Siegesgöttin steht an der einen Seite des inneren Eingangs und führt sie an, der Tod auf der anderen. Es ist ein Wandgemälde, das irgendeinen Krieg verherrlicht. Die Männer auf der Seite des Todes leben noch. Sie ziehen in den Himmel. Der Tod ist eine schöne Frau mit Flügeln und einer fast entblößten Brust; oder ist das der Sieg? Ich weiß es nicht mehr.
Das werden sie nicht zerstört haben.
Wir kehren der Mauer den Rücken zu, wenden uns nach links. Hier befinden sich mehrere leere Ladenfronten, die Schaufenster mit Seife beschmiert. Ich versuche mich zu erinnern, was früher in diesen Läden verkauft wurde. Kosmetika? Schmuck? Die meisten Geschäfte, die Waren für Männer führen, sind nach wie vor geöffnet; nur die, die mit dem handelten, was sie als Eitelkeiten bezeichnen, sind geschlossen worden.
An der Ecke befindet sich der Laden, der unter dem Namen Seelenrollen bekannt ist. Es ist ein Franchise-Geschäft: in jedem Stadtzentrum gibt es Seelenrollen und in jedem Vorort, das wird jedenfalls behauptet. Die Kette muß hohe Gewinne machen.
Das Schaufenster von Seelenrollen ist aus bruchsicherem Glas. Dahinter stehen Drucker, eine Reihe hinter der anderen; diese Apparate werden Holy Rollers genannt, aber nur unter uns, es ist ein respektloser Spitzname. Die Apparate drucken Gebete aus, Rolle um Rolle, endlos ausgespuckte Gebete. Sie werden über das Compuphon bestellt, ich habe gehört, wie die Frau des Kommandanten ihre Bestellung aufgegeben hat. Bei Seelenrollen Gebete zu bestellen, gilt angeblich als ein Zeichen von Frömmigkeit und Treue gegenüber dem Regime, deshalb geben die Frauen der Kommandanten natürlich eine Menge Bestellungen auf. Es dient den Karrieren ihrer Ehemänner.
Es gibt fünf verschiedene Gebete: um Gesundheit, um Wohlstand, angesichts eines Todesfalls, einer Geburt, einer Sünde. Man sucht sich aus, welches man möchte, gibt die Nummer ein, dann gibt man die eigene Nummer ein, damit das Konto belastet wird, und dann gibt man eine Zahl ein, nämlich wie oft man das Gebet wiederholt haben möchte.
Die Apparate sprechen, während sie die Gebete ausdrucken; wenn man möchte, kann man hineingehen und ihnen zuhören, den gleichförmigen metallischen Stimmen, die immer wieder dasselbe sagen. Wenn die Gebete ausgedruckt und gesprochen worden sind, rollt das Papier durch einen weiteren Schlitz zurück und wird zu neuem Papier aufbereitet. In dem Gebäude arbeiten keine Menschen: die Apparate laufen von allein. Von draußen kann man die Stimmen nicht hören, nur ein Gemurmel, ein Summen wie von einer knienden gläubigen Menge. Jeder Apparat ist an der Seite mit einem aufgemalten goldenen Auge und zwei kleinen goldenen Flügeln rechts und links davon versehen.
Ich versuche mich zu erinnern, was in diesem Geschäft verkauft wurde, als es noch ein richtiger Laden war, bevor es zu der Seelenrollen-Filiale umgebaut wurde. Ich glaube es war ein Geschäft für Damenunterwäsche. Rosa und silberne Schachteln, bunte Strumpfhosen, Spitzenbüstenhalter, Seidentücher? Etwas Verlorenes.
Desglen und ich stehen vor Seelenrollen und schauen durch die bruchsicheren Schaufensterscheiben, sehen zu, wie die Gebete aus den Maschinen quellen und wieder durch den Schlitz verschwinden,
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