Der Report der Magd
Ich muß diese Art Geld auch noch benutzt haben, eine Zeitlang, bevor alles von der Compubank eingezogen wurde.
So, nur so, nehme ich an, konnten sie es überhaupt durchführen, ganz plötzlich, ohne daß irgend jemand vorher davon wußte. Hätte es noch bares Geld gegeben, wäre es schwieriger gewesen.
Es war nach der Katastrophe, als der Präsident erschossen und der ganze Kongreß mit Maschinengewehren niedergemäht wurde und die Armee den Notstand erklärte. Die Schuld wurde damals den islamischen Fanatikern zugeschoben.
Ruhe bewahren, hieß es im Fernsehen. Alles ist unter Kontrolle.
Ich war wie betäubt. Allen ging es so, das weiß ich noch. Es war kaum zu fassen. Die ganze Regierung, einfach so weggefegt. Wie sind die nur reingekommen, wie ist es passiert?
Und dann wurde die Verfassung aufgehoben. Es hieß, das sei nur eine vorübergehende Maßnahme. Und es gab nicht einmal Aufstände. Die Leute blieben abends zu Hause, sahen fern, suchten nach einer neuen Richtung. Es gab nicht einmal einen Feind, auf den man mit dem Finger zeigen konnte.
Paß auf, sagte Moira zu mir am Telefon. Jetzt kommt's.
Was kommt jetzt? fragte ich.
Wart's nur ab, sagte sie. Die haben das ganz systematisch geplant. Du und ich, wir stehen jetzt mit dem Rücken an der Wand, Baby. Sie zitierte einen Ausspruch meiner Mutter, aber sie hatte nicht die Absicht, komisch zu sein.
Die Lage blieb mehrere Wochen in diesem Schwebezustand, in dem das Leben stillzustehen schien, obwohl einiges geschah. Die Zeitungen wurden zensiert, und einige mußten ihr Erscheinen einstellen, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Die ersten Straßensperren waren plötzlich da, und die Identipässe wurden eingeführt. Alle hielten das für sinnvoll, da es offenkundig war, daß man gar nicht vorsichtig genug sein konnte. Es hieß, es würden Neuwahlen abgehalten werden, aber die Vorbereitungen würden noch einige Zeit dauern. Das, worauf es jetzt ankomme, hieß es, sei, so weiterzumachen wie gewöhnlich.
Die Pornozentren wurden allerdings geschlossen; es kreisten auch keine Sexmobile und Häschen auf Rädern mehr auf dem Square. Sehr traurig war ich nicht, als sie verschwanden. Wir wußten alle, was für eine Landplage sie gewesen waren.
Es ist höchste Zeit, daß mal jemand etwas unternimmt, sagte die Verkäuferin in dem Laden, in dem ich normalerweise meine Zigaretten kaufte. Es war an der Ecke, ein Kiosk, der zu einer Kette gehörte: Zeitungen, Süßigkeiten, Zigaretten. Die Frau war älter und hatte graues Haar – die Generation meiner Mutter.
Haben sie sie einfach nur geschlossen, oder was? fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. Wer weiß, und wen interessiert das auch, sagte sie. Vielleicht haben sie sie nur irgendwoandershin gebracht. Zu versuchen, sie ganz loszuwerden, ist doch, als wollte man versuchen, die Mäuse auszurotten, verstehen Sie? Sie gab meine Compunummer in den Kassenautomaten, fast ohne hinzuschauen: ich war inzwischen Stammkundin. Es haben sich Leute beschwert, sagte sie.
Am nächsten Morgen ging ich auf meinem morgendlichen Weg zur Bibliothek in dasselbe Geschäft, um eine neue Packung Zigaretten zu kaufen, denn ich hatte keine mehr. Ich rauchte damals mehr, es war die Spannung, man spürte sie wie ein unterirdisches Summen, obwohl alles so ruhig schien. Ich trank auch mehr Kaffee als sonst und hatte Schlafschwierigkeiten. Alle waren kribbelig. Im Radio gab es sehr viel mehr Musik als sonst und weniger Textbeiträge.
Das war zu der Zeit, als wir schon verheiratet waren, schon jahrelang, wie es mir damals vorkam. Sie war drei oder vier und tagsüber im Kinderhort.
Wir waren alle wie gewöhnlich aufgestanden und hatten gefrühstückt, Granola-Flocken, erinnere ich mich, und Luke hatte sie zum Kindergarten gefahren in ihrem kleinen Anzug, den ich ihr erst vor wenigen Wochen gekauft hatte, gestreifte Latzhose und blaues T-Shirt. Welcher Monat war es? Es muß September gewesen sein. Es gab einen Fahrdienst, von dem die Kinder abgeholt werden sollten, aber aus irgendeinem Grund wollte ich, daß Luke sie hinfuhr, ich machte mir allmählich sogar Sorgen wegen des Fahrdienstes. Kein Kind ging mehr zu Fuß zur Schule, es hatte zu viele Vermißtenanzeigen gegeben.
Als ich zu dem Eckgeschäft kam, war die übliche Frau nicht da. Statt dessen stand ein Mann hinter dem Ladentisch, ein junger Mann, der nicht viel älter sein konnte als zwanzig.
Ist sie krank? fragte ich, als ich ihm meine Karte gab.
Wer? fragte er, in aggressivem
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