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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Bluter, sagte eine ihrer Freundinnen. Sie nannten die andere Seite die Bluter, nach den Transparenten, die sie trugen: Laßt sie bluten. Es müssen also die Abtreibungsunruhen gewesen sein.
    Ich ging ins Schlafzimmer, um ihnen auszuweichen. Sie redeten mir zu viel und zu laut. Sie ignorierten mich, und ich ärgerte mich über sie. Meine Mutter und ihre pöbelhaften Freundinnen. Ich sah nicht ein, warum sie sich so anziehen mußte – Latzhosen, als wäre sie ein junges Mädchen – und warum sie so viel fluchen mußte.
    Du bist so prüde, sagte sie manchmal zu mir, in einem Ton, als ob sie sich im Grunde genommen darüber freute. Es gefiel ihr, empörter und rebellischer zu sein als ich. Jugendliche sind immer so prüde.
    Ein Teil meiner Mißbilligung war sicherlich bloß eine mechanische Reaktion, Routine. Aber ich wünschte mir auch ein rituelleres Leben, weniger provisorisch, weniger auf Abbruch ausgerichtet.
    Du warst ein Wunschkind, weiß Gott, sagte sie zu anderen Zeiten, wenn sie über den Fotoalben saß, in denen sie mich eingerahmt hatte; diese Alben waren voller Babys, aber meine Ebenbilder wurden spärlicher, je größer ich wurde, so als sei die Bevölkerung meiner Duplikate von einer Seuche dahingerafft worden. Sie sagte es ein wenig bedauernd, als sei ich nicht ganz so geraten, wie sie es erwartet hatte. Keine Mutter ist jemals genau so, wie ein Kind sich eine Mutter vorstellt, und andersherum ist es wahrscheinlich genau so. Aber trotz allem kamen wir immer ganz gut miteinander aus, so gut wie die meisten anderen.
     
    Jemand kommt aus dem Haus. Ich höre, wie in einiger Entfernung eine Tür geschlossen wird, drüben, um die Ecke herum, dann Schritte auf dem Weg. Es ist Nick, jetzt kann ich ihn sehen; er ist vom Weg auf den Rasen getreten, um die feuchte Luft einzuatmen, die nach Blumen stinkt, nach schleimigem Wachstum, nach Pollen, der mit vollen Händen in den Wind geworfen wurde, wie Austernlaich ins Meer. All diese Verschwendung bei der Fortpflanzung. Er streckt sich in der Sonne, ich spüre, wie die Bewegung der Muskeln ihn durchläuft, wie wenn eine Katze einen Buckel macht. Er ist in Hemdsärmeln, bloße Arme kommen schamlos unter dem aufgekrempelten Stoff zum Vorschein. Wo hört die Sonnenbräune auf? Ich habe seit jener einen Nacht, seit der Traumlandschaft in dem monderfüllten Wohnzimmer, nicht mit ihm gesprochen. Er ist nur meine Flagge, mein Signalmast. Körpersprache.
    Jetzt eben hat er die Mütze schräg auf dem Kopf. Es wird also nach mir geschickt.
    Was bekommt er dafür, für seine Rolle als Page? Wie ist ihm zumute, wenn er auf diese zweideutige Weise für den Kommandanten kuppelt? Erfüllt es ihn mit Abscheu, oder bewirkt es, daß er sich mehr von mir wünscht, mich mehr begehrt? Denn er hat ja keine Ahnung, was sich dort drinnen, zwischen den Büchern, wirklich abspielt. Perversitäten, muß er doch annehmen. Der Kommandant und ich, wie wir einander mit Tinte beschmieren, um sie danach wieder abzulecken, oder wie wir uns auf Stapeln verbotener Zeitungen lieben. Nun, damit würde er nicht ganz falsch liegen.
    Aber keine Sorge, auch für ihn springt etwas dabei heraus. Jeder sahnt etwas ab, auf die eine oder andere Weise. Zusätzliche Zigaretten? Zusätzliche Freiheiten, die der breiten Masse nicht gewährt werden? Und im übrigen, was kann er schon beweisen? Sein Wort steht gegen das des Kommandanten, es sei denn, er will ein Polizeiaufgebot anführen. Tür eintreten, und was habe ich gesagt? In flagranti ertappt, beim sündigen Scrabbeln.
    Schnell, mach diese Worte ungesagt.
    Vielleicht schätzt er einfach nur die Genugtuung, ein Geheimnis zu wissen. Etwas gegen mich in der Hand zu haben, wie man früher zu sagen pflegte. Es ist die Art von Macht, die man nur einmal nützen kann.
    Ich würde gern besser von ihm denken.
     
    In der Nacht, nachdem ich meine Arbeit verloren hatte, wollte Luke, daß wir uns liebten. Warum wollte ich es nicht? Allein schon die Verzweiflung hätte mich dazu treiben sollen. Aber ich war immer noch wie betäubt. Ich spürte kaum seine Hände auf mir.
    Was ist los? fragte er.
    Ich weiß nicht, sagte ich.
    Wir haben doch immer noch… sagte er. Aber er fuhr nicht fort, er sagte nicht, was wir immer noch hatten. Mir kam in den Sinn, daß er besser nicht wir sagen sollte, da ihm meines Wissens nichts weggenommen worden war.
    Wir haben immer noch einander, sagte ich. Das stimmte. Warum hörte es sich dann, auch in meinen eigenen Ohren, so gleichgültig an?
    Da

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