Der Report der Magd
küßte er mich, so als könne jetzt, da ich das gesagt hatte, alles wieder seinen normalen Gang gehen. Doch irgend etwas hatte sich verschoben, irgendein Gleichgewicht. Ich kam mir geschrumpft vor, so daß ich klein wie eine Puppe war, als er die Arme um mich legte und mich hochhob. Ich spürte, wie die Liebe weiterging ohne mich.
Ihm macht das nichts aus, dachte ich. Ihm macht das überhaupt nichts aus. Vielleicht gefällt es ihm sogar. Wir gehören nicht einander, nicht mehr. Vielmehr gehöre ich jetzt ihm.
Unwürdig, ungerecht, unwahr. Aber genau so geschah es.
Also, Luke, was ich dich jetzt fragen möchte, was ich unbedingt wissen muß: Hatte ich recht? Denn wir sprachen nie darüber. Zu der Zeit, als ich darüber hätte sprechen können, hatte ich Angst davor. Ich konnte es mir nicht leisten, dich zu verlieren.
Kapitel neunundzwanzig
Ich sitze im Büro des Kommandanten, ihm gegenüber an seinem Schreibtisch, in der Position des Klienten, als wäre ich ein Bankkunde, der über einen dicken Kredit verhandelt. Doch abgesehen von dem mir im Zimmer zugewiesenen Platz ist nur noch wenig von jener Förmlichkeit zwischen uns. Ich sitze nicht mehr mit steifem Hals und steifem Rücken da, die Füße wie beim Antreten nebeneinander auf dem Boden, die Augen zum Salut bereit. Vielmehr ist meine Haltung jetzt locker, geradezu bequem. Die roten Schuhe habe ich ausgezogen, meine Beine unter mich auf den Stuhl gezogen, umgeben zwar von einem Bollwerk aus rotem Rock, aber immerhin hochgezogen, wie an einem Lagerfeuer in früheren, picknickfreundlicheren Zeiten. Wenn im Kamin ein Feuer brennte, würde sein Schein auf den blankpolierten Oberflächen funkeln, warm auf der Haut schimmern. Ich denke mir den Schein des Feuers dazu.
Was den Kommandanten betrifft, so ist er heute abend bis an die Grenze des Erlaubten lässig. In Hemdsärmeln die Ellbogen auf dem Schreibtisch. Fehlt nur noch ein Zahnstocher im Mundwinkel, und er könnte als Reklamefigur für eine ländliche Demokratie herhalten. Wie auf einer alten Radierung. Bedeckt mit Fliegendreck, in einem alten, nun verbrannten Buch.
Die Quadrate auf dem Brett vor mir füllen sich nach und nach: Ich bin bei meinem vorletzten Spiel an diesem Abend. Zwilch lege ich, ein passendes einsilbiges Wort mit einem kostbaren Z.
»Ist das ein Wort?« fragt der Kommandant.
»Wir können es nachschlagen«, sage ich. »Es ist veraltet.«
»Ich schenke es dir«, sagt er lächelnd. Der Kommandant mag es gern, wenn ich mich auszeichne, Frühreife zeige, wie ein aufmerksames Haustier, mit aufgestellten Ohren und begierig, sich zu produzieren. Sein Beifall umhüllt mich wohlig wie ein warmes Bad. Bei ihm spüre ich nichts von der Feindseligkeit, die ich bei Männern zu spüren pflegte, manchmal sogar bei Luke. Er sagt nicht im stillen Miststück. Tatsächlich ist er ausgesprochen papihaft. Er hat gern das Gefühl, daß ich mich gut unterhalte. Und ich tue es, ich tue es.
Flink addiert er mit Hilfe seines Taschenrechners den endgültigen Punktstand. »Du führst bei weitem«, sagt er. Ich habe den Verdacht, daß er mogelt, um mir zu schmeicheln, um mich in gute Laune zu versetzen. Aber warum? Die Frage bleibt offen. Was hat er davon, wenn er sich auf diese Art anbiedert? Es muß einen Grund haben.
Er lehnt sich zurück, die Fingerspitzen aneinandergelegt, eine Geste, die mir inzwischen vertraut ist. Wir haben ein ganzes Repertoire solcher Gesten, solcher Vertrautheiten zwischen uns aufgebaut. Er sieht mich an, nicht unfreundlich, eher neugierig, als sei ich ein Rätsel, das es zu lösen gilt.
»Was möchtest du heute abend lesen?« fragt er. Auch das ist Routine geworden. Bisher habe ich eine Mademoiselle gelesen, einen alten Esquire aus den achtziger Jahren, eine Ms., eine Zeitschrift, an die ich mich vage erinnere, weil sie in den diversen Wohnungen meiner Mutter herumlag, während ich heranwuchs, und ein Reader's Digest -Heft. Er hat sogar Romane. Ich habe einen Raymond Chandler gelesen, und im Augenblick bin ich gerade halb durch Harte Zeiten von Charles Dickens. Ich lese schnell bei diesen Gelegenheiten, verschlinge die Seiten, überfliege sie fast, um vor der nächsten langen Hungerperiode so viel wie möglich in meinen Kopf zu stopfen. Ginge es um Nahrung, wäre es die Gier einer Verhungernden, ginge es um Sex, wäre es ein eiliger, verstohlener Stehfick irgendwo in einer dunklen Gasse.
Während ich lese, sitzt der Kommandant da und sieht mir zu: Er sagt nichts, wendet aber auch
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