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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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den Schwulen können unsere Nummern übernehmen und uns Sachen kaufen, die wir brauchen.
    Aber warum? fragte ich. Warum haben sie das getan?
    Es ist nicht an uns, zu ergründen, warum, sagte Moira. Sie mußten es so machen – die Compukonten und die Arbeitsstellen gleichzeitig. Stell dir mal vor, wie es sonst jetzt auf den Flughäfen aussähe. Sie wollen nicht, daß wir anderswohin gehen, darauf kannst du dich verlassen.
    Ich fuhr los, um meine Tochter vom Kindergarten abzuholen. Ich fuhr mit übertriebener Vorsicht. Als Luke nach Hause kam, saß ich schon wieder am Küchentisch. Sie malte mit Filzstiften an ihrem eigenen kleinen Tisch in der Ecke, wo ihre Gemälde neben dem Kühlschrank aufgehängt wurden.
    Luke kniete sich neben mich und legte die Arme um mich. Ich habe es gehört, sagte er, im Autoradio, auf der Heimfahrt. Mach dir keine Sorgen, ich bin sicher, das ist nur vorübergehend.
    Haben sie gesagt warum? fragte ich. Er antwortete nicht darauf. Wir werden es überstehen, sagte er, und umarmte mich.
    Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, sagte ich. Ich habe das Gefühl, als hätte mir jemand die Füße abgeschnitten. Ich weinte nicht. Aber ich konnte auch nicht die Arme um ihn legen.
    Es ist nur ein Job, sagte er und versuchte mich zu besänftigen. Ich nehme an, du kriegst all mein Geld, sagte ich. Und dabei bin ich noch nicht einmal tot. Es sollte ein Witz sein, aber was herauskam, klang nur makaber.
    Schon gut, sagte er. Er kniete immer noch auf dem Fußboden. Du weißt doch, daß ich immer für dich sorgen werde.
    Ich dachte: Schon fängt er an, den Vormund zu spielen. Dann dachte ich: Schon fängst du an, paranoid zu reagieren.
    Ich weiß, sagte ich. Ich liebe dich.
    Später, als sie im Bett war und wir zu Abend aßen und ich mich nicht mehr so zittrig fühlte, erzählte ich ihm von dem, was am Nachmittag geschehen war. Ich beschrieb ihm, wie der Direktor hereingekommen und mit seiner Nachricht herausgeplatzt war. Es hätte komisch sein können, wäre es nicht so schrecklich gewesen, sagte ich. Zuerst dachte ich, er wäre betrunken. Vielleicht war er es sogar. Militär war da, und alles.
    Dann erinnerte ich mich an etwas, das ich zu dem Zeitpunkt gesehen, aber nicht wahrgenommen hatte: Es war nicht das Militär. Es war ein anderes Militär.
     
    Es gab natürlich Demonstrationen, viele, von Frauen und ein paar Männer. Aber sie waren kleiner, als man hätte meinen sollen. Ich nehme an, die Leute waren verängstigt. Und als dann bekannt wurde, daß die Polizei oder die Armee, oder wer immer es war, das Feuer eröffnen würde, sobald sich ein Demonstrationszug auch nur in Bewegung setzte, hörten die Demonstrationen ganz auf. Ein paar Gebäude wurden gesprengt, Postämter, Untergrundbahnhöfe. Aber man wußte nicht einmal genau, wer dahintersteckte. Vielleicht das Militär selbst, um die Computerfahndungen und die anderen Durchsuchungen, die Hausdurchsuchungen, zu rechtfertigen.
    Ich ging zu keiner der Demonstrationen. Luke sagte, es sei vergeblich, ich müsse an meine Familie denken, an ihn und an sie. Also dachte ich an meine Familie. Ich fing an, mehr Hausarbeit zu machen, mehr zu backen. Ich gab mir Mühe, bei den Mahlzeiten nicht zu weinen. Ich hatte inzwischen angefangen, oft von einem Moment zum anderen in Tränen auszubrechen und mich dann ans Schlafzimmerfenster zu setzen und hinauszustarren. Ich kannte nicht viele von unseren Nachbarn, und wenn wir uns trafen, draußen auf der Straße, waren wir darauf bedacht, nicht mehr als die üblichen Grußformeln auszutauschen. Keiner wollte wegen Illoyalität gemeldet werden.
     
    Wenn ich daran zurückdenke, muß ich an meine Mutter denken. Es war Jahre vorher. Ich muß vierzehn oder fünfzehn gewesen sein, jedenfalls in dem Alter, in dem Töchter sich am meisten für ihre Mütter genieren. Ich erinnere mich daran, wie sie in eine unserer vielen Wohnungen zurückkam, mit einer Gruppe anderer Frauen, einem Teil ihres ständig wechselnden Freundeskreises. Sie hatten an diesem Tag an einem Demonstrationszug teilgenommen. Es war die Zeit der Pornounruhen – oder ging es um Abtreibung? Beide folgten zeitlich dicht aufeinander. Damals gab es viele Bombenanschläge: auf Kliniken, Videoläden – es war schwer, auf dem laufenden zu bleiben.
    Meine Mutter hatte einen blauen Fleck im Gesicht und ein bißchen Blut. Du kannst nicht mit der Faust durch eine Fensterscheibe, ohne dich zu schneiden, war alles, was sie dazu sagte. Dreckige Schweine.
    Dreckige

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