Der Retter von Dent-All
Unmöglichen zu verführen! Du hast ihn an deine kurze Lebensspanne gebunden und ihn so in den Tod hineingezogen! Der König ist vor vier Jahren gestorben, und damit ist sein Imperium zum Untergang verdammt!«
Judy brachte kein Wort zu ihrer Verteidigung über die Lippen. Sie hatte den Monarchen zu dieser Reise in die Vergangenheit verleitet — wenn auch nur indirekt.
»Du wirst den Tod der tausend Lichter sterben!« schrien die Höflinge. »Die Motten werden auf deine Leiche spucken!«
Man schaffte sie in einen Kokonturm auf der obersten Terrasse der Burg. Judy hatte einen weiten Blick über die
Stadt und die Tiefebene; aber sie konnte das zähe Gewebe nicht zerreißen oder es gar auseinanderbiegen, um dem Gefängnis zu entrinnen. Sie saß gleichsam hinter unsichtbarem Stacheldraht. Tief unter ihr gähnte der Burggraben, und Larven mit scharf geschliffenen Kiefern hielten dort Wache.
Schmetterlinge schossen aus dem Himmel herunter. Ihre Flügel schimmerten im Sonnenlicht wie Glas. Jeder Schmetterling hatte einen Strahler bei sich, den er auf Judys Gefängnis richtete. Die Strahler waren silberfarbig, schwarz und grün, also in den Wappenfarben von Lepidop gehalten. In einer langen Reihe kamen die Schmetterlinge auf ihren Käfig zu, und jeder Schmetterling schoß einen Lichtfaden auf Judy ab, ehe er abdrehte.
Zuerst versuchte Judy, diesen Lichtschüssen auszuweichen. Doch das gelang nur teilweise. Als ein paar Schüsse sie trafen, merkte sie, daß es sich nur um harmloses Licht handelte — um Leuchtreflexe, die sofort wieder erloschen.
War diese Hinrichtung nur symbolisch?
Doch da stach ein sengender Schmerz in ihr rechtes Bein. Einer dieser Strahler war ein Laser!
Nach einer Stunde und mehreren Treffern hatte sie die Methodik ihrer Hinrichtung entdeckt. In unregelmäßigen Abständen stieß ein Schmetterling mit orangefarbenem Strahler auf sie herab — in der Farbe des toten Monarchen. Dieser Strahler war der Laser. Seinem tödlichen Lichtstrahl mußte sie ausweichen. Doch das war eine höllische Aufgabe. Sie mußte jeden Schmetterling im Auge behalten, und es befanden sich immer mehrere im Anflug. Die Farbe der Strahler war erst zu unterscheiden, wenn der Schmetterling bereits auf Schußweite herangekommen war. Meistens gelang es ihr erst im letzten Moment, dem bleistiftdünnen Hitzestrahl auszuweichen. Dazu kamen die netzartigen Verstrebungen ihres Gefängnisses, die durch ihre Lichtreflexe irritierten. Und die Strahlen wirkten nur in der Nähe ihres Körpers und schnitten durch das Gewebe der Mauern, ohne Schaden anzurichten. Sie war das einzige Ziel dieser Waffen, die wie Degenklingen durch ihren Käfig schnitten. Und sobald ihre Achtsamkeit nachließ, schreckte ein Treffer sie wieder auf.
Bisher waren die Wunden nur schmerzhaft, nicht lebensgefährlich. Doch mit der Zeit würde ein Laser eines ihrer Augen blenden oder sich durch ihre Brust bohren...
Der Tod der tausend Lichter.
Sie begriff jetzt, was das bedeutete. Hunderttausend Scheinangriffe, tausend tödliche Bedrohungen. Ein paar Treffer konnte sie verschmerzen; zwanzig Einschläge würden sie noch nicht umbringen; zweihundert Wunden warfen sie monatelang auf das Krankenbett, und tausend...
Tausend Treffer konnte kein Wesen lebend überstehen!
Zehn Tage lang sollte diese Hinrichtung dauern. Zehn Tage ohne Schlaf und ohne Pause. Wenn die Laser sie nicht umbrächten, würde sie an Erschöpfung sterben.
Der Tod der tausend Lichter.
Ihre Augen brannten. Die ununterbrochen anfliegenden Schmetterlinge verschwammen zu einer glitzernden Spirale. Das waren keine schönen Geschöpfe mehr, sondern Flügel, des Grauens. Immer wieder stürzte ein Schmetterling auf sie herunter, den Strahler auf sie gerichtet. Andere folgten wie Todesengel an einer unsichtbaren Schnur. Die blitzenden Flügel waren Warnsignale der Vernichtung.
Judy schrie auf. Sie war eingedöst, ohne es zu merken, hypnotisiert von den ständigen Lichtreflexen schwirrender Flügel. Ein Laser hatte sie getroffen, ihr das Haar versengt und die linke Schulter gestreift. Der Schmerz war so höllisch, als hätte man ihr ein weißglühendes Eisen ins Fleisch gerammt. Einen halben Zentimeter tief war der Strahl in das Fleisch eingedrungen und hatte die Wunde selbst ausgebrannt.
Die Nacht brach herein, doch sie brachte keine Erholungspause. Jetzt flogen die Nachtfalter heran, deren Strahler in den gleichen Farben schimmerten wie die Waffen ihrer Vettern vom Tage. Die Farbmarkierung war keine
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