Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
Vom Netzwerk:
kaum dass die Aufnahmen beendet waren. »Allem Anschein nach bist du im Moment ohne Frau. Aber in dein Bett steigen will ich nicht. Ich werde niemanden stören, bis auf dich, und du …«
    »Und ich bin einverstanden«, fiel ich ihr ins Wort und ging hinaus, um dem, der Alina hergebracht hatte, zu sagen, dass er nicht länger zu warten brauche.
    »Darüber befinde nicht ich« – er kritzelte eine Telefonnummer auf den am Armaturenbrett angeklebten Notizblock – »rufen Sie den Manager an«, gab mir das Blatt, ließ den Motor an und fuhr davon.
    Ich kehrte ins Studio zurück. Mit hübsch übergeschlagenen Beinen saß Alina auf einem hohen Hocker, zwischen ihren schmalen Fingern qualmte eine Zigarette.
    »Gieß mir doch was zu trinken ein!«, sagte sie fast im Befehlston.
    Gehorsam ging ich zu dem als Bar dienenden niedrigen Schränkchen.
    »Was möchtest du?«, fragte ich, während ich mich vor das Schränkchen hockte.
    »Rotwein«, antwortete Alina. »Er regt den Kreislauf an!«
    »Wein ist nicht da.« Ich öffnete die Türen des Schränkchens. »Kognak, Whisky, Portwein …«
    »Agdam?« Alina lachte auf.
    »Markenwein …«
    »Gieß ein!« Alina sprang vom Hocker und klapperte mit ihren Absätzen über den Fußboden des Studios. »Der regt den Kreislauf auch an.«
     
    Ich spülte den Schaum ab, blieb noch eine Weile unter der Dusche stehen, drehte den Hahn zu und begann mich abzutrocknen.
    Alina versuchte älter zu erscheinen, als sie tatsächlich war. Sie verlor sich gern in Betrachtungen darüber, was nützlich und was schädlich für die Gesundheit war. Und stellte unvermutete Fragen. An unserem ersten Abend hatte sie plötzlich gefragt:
    »Warum magst du sie nicht?«
    »Wen?«
    »Na, die da, die Kerle in den Autos. Du bist der einzige Fotograf, der sie nicht ins Studio lässt.«
    »Das ist meine Bedingung. Ich spreche das ab mit …« Ich stockte.
    »Nun? Sprich ruhig weiter!« Alina beugte sich vor, ihr spitzes Kinn gegen mich gerichtet.
    »Mit denen, die das Sagen haben.«
    »Bei mir hat keiner das Sagen!«, sagte Alina.
    »Und der?« Ich wies mit dem Kopf auf das Blatt.
    »Bei ihm habe ich das Sagen!«, sagte Alina. »Glaubst du es nicht?«
    »Ich glaube es«, sagte ich gezwungenermaßen. »Natürlich glaube ich es.«
     
    Ich schlang das breite Badetuch um die Lenden und verließ das Bad. Aus dem Schlafzimmer – kein Laut: Wahrscheinlich war Alina wieder eingeschlafen. Sie sieht natürlich gut aus, überlegte ich, während ich in die Küche ging, den Kühlschrank öffnete und Milch in ein hohes dünnwandiges Glas füllte, aber etwas an ihr ist gar zu anziehend. Sie hat etwas Rätselhaftes, Unbegreifliches an sich. Eine Art zweiten Boden.
    Ich nahm einen Schluck, setzte das Glas ab, hob es langsam wieder an den Mund.
    An der Tür klingelte es laut: Das konnte nur Kulagin sein.
     
    Kulagin gehörte auch zu meinen Neuerwerbungen. Schon etwas ältlich, für das Fahren der Mädchen und die Ausführung kleiner Aufträge der Agenturinhaber zuständig, hatte er allmählich einen engen Kontakt zu mir hergestellt. Und mir gestanden, er sei ein Fotoamateur, der von der Verbesserung seines Könnens und von Anerkennung träume. Er brachte mir auch seine Arbeiten – lauter Stillleben. Kleine Freuden eines ruhigen Lebens. Tassen mit Untertassen, am Rand von Aschenbechern qualmende Zigaretten, ein Fenster im Hintergrund, der Schatten eines Menschen, der sich soeben vom Tisch erhoben hat.
    Ich sagte ihm, dass er meiner Meinung nach gar nicht übel arbeite, und Kulagin blühte auf, als wäre ich ein anerkannter Meisterfotograf oder Juryvorsitzender eines prestigeträchtigen Wettbewerbs. Er bot mir seine Dienste an, bat mich, ihm beizubringen, wie man mit Modellen arbeitet. Ich sagte weder ja noch nein, doch suchte er meine Nähe, unaufdringlich, eifrig.
     
    Auf dem Weg zur Eingangstür trat ich zum Fenster, zog die dichte dunkle Gardine ein wenig auf, sodass ein Sonnenstrahl das Halbdunkel des Studios durchschnitt, und obwohl ich die Augen zukneifen musste, konnte ich erkennen, wer auf meiner Vortreppe stand: Es war tatsächlich Kulagin. Ich ging zur Tür und spähte durch den Spion. Kulagins Gesicht wurde von den Linsen auf lustige Weise verzerrt: Er sah noch glotzäugiger aus, das Kinn fehlte gänzlich, die hohen Ecken schienen sich zu vereinigen und eine Vollglatze zu bilden.
    Ich schloss auf und öffnete die schwere Stahltür. Der leichte »Oi!«-Aufschrei einer Frauenstimme und Kulagins »Ich bin’s, Genosse!

Weitere Kostenlose Bücher