Der Retuscheur
zwischen den Tischen, und ihre Gestalt verlor sich allmählich im Halbdunkel. Als sie dann die Tür aufstieß, flutete einen Moment lang Sonnenlicht herein.
Ich goss mir langsam Wässer ein, trank es aus, steckte mir eine Zigarette an. Und langte nach dem Kuvert.
Ja, ich trennte mich tatsächlich nicht gern von meinen Arbeiten. Insbesondere wenn es darum ging, durch Retuschen Mängel zu beheben und Verlorengegangenes wiederherzustellen.
Mit den Negativen bekam ich hin, was mit der Umgebung nicht zu bewerkstelligen war. Der fehlte es an Schärfe. An genauer Linienführung. An präziser Akzentsetzung. Die Schatten waren allgemein nicht durchgezeichnet. Der Hintergrund verschluckte die Gestalt, oder die Gestalt ließ den Hintergrund nicht zur Geltung kommen. Mit der Umgebung konnte ich nichts machen. Sie fiel immer ab gegenüber dem, was ich aus dem miesesten Negativ herausholen konnte. Wenn das Ergebnis meiner Bemühungen ein gutes Negativ war, mit dem sich hochwertige Fotos herstellen ließen, dann begnügte ich mich nicht mit dem Bewusstsein, etwas Verlorengegangenes wiederhergestellt zu haben. Dann erschien ich mir wie ein allmächtiger Schöpfer und träumte davon, eine riesige Panoramaaufnahme anzufertigen, in der alles eingefangen sein sollte, und das Negativ auf einen breiten Arbeitstisch mit Unterlicht legen zu können, um alle Fehler ein für alle Mal zu beseitigen. Das müsste doch so ganz ordentlich werden!
Ich öffnete das Kuvert, entnahm ihm die Fotos, wählte eins aus und legte es an den Tischrand. Dann suchte ich aus dem kleinen Kuvert das dazugehörige Negativ heraus. Es konnte keinen Zweifel geben: Bei der Frau auf der Motorhaube des weißen Wagens und Minajewa, die am Morgen in meinem Studio gewesen war, handelte es sich um ein und dieselbe Person. Alina hatte recht.
Ich steckte das Negativ weg und zündete mir eine neue Zigarette an. Die Frau auf der Motorhaube sah großartig aus. Es war kaum zu glauben, dass jemand von den hiesigen Fotografen sie aufgenommen hatte: Das Foto war professionell gemacht, mit Geschmack, alle Schatten waren durchgezeichnet, Minajewas Gesicht leuchtete, der etwas schwere Busen war die Keuschheit selbst. Selbst ihr Lächeln war keusch.
»Ein hübsches Mädchen!«, sagte jemand hinter meinem Rücken. Ich wandte mich um: Ein hochgewachsener, stämmiger Mann mit kanariengelbem Sakko trat an meinen Tisch, im Kontrast zu seinem dunkelhäutigen Gesicht wirkte die Sackofarbe noch greller.
»Ich sehe, da sitzt ein Gast mit einem Mädchen, das Mädchen geht, er beginnt sich Fotos anzugucken, auf denen andere Mädchen zu sehen sind. Im Evakostüm!« Der Kanariengelbe fasste nach der Rückenlehne des Stuhls, auf dem Alina gesessen hatte. »Ich störe doch nicht?«
Ich zuckte die Schultern, und der Kanariengelbe setzte sich mir gegenüber.
»Du bist oft hier«, sagte er. »Immer mit einem hübschen Mädchen und immer mit irgendwelchen Fotos. Ich bin der Chef hier, über meine Gäste weiß ich viel, über dich gar nichts. Ich habe mit Freunden gewettet, was du wohl bist.«
»Was denn?« Der Kanariengelbe war ein komischer Typ, obwohl er sich in nichts von anderen unterschied – Kanariengelben, Roten, Himbeerfarbenen und Grünen.
»Ich habe gesagt – du lieferst Puppen. Dann ist mir allerdings klar geworden: Deine Mädchen sehen nicht danach aus. Na ja, ist schon zu spät!«
»Um wie viel hast du gewettet?« Ich nahm einen Schluck Wasser und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.
»Ich wette immer mit hohem Einsatz. Aus Leidenschaft. Ich habe mir dein Auto angesehen. Dein Auto ist, entschuldige – ts-ts! Du selber bist so lala. Ich weiß nicht. Asian wird wahrscheinlich gewinnen.«
»Was hat Asian denn gesagt?«, fragte ich schmunzelnd. Sein »Ts-ts!« bedeutete, dass sich mein Shiguli-6 in recht ordentlichem Zustand befand.
»Ein Fotograf ist er, hat er gesagt. Stimmt das?«
»Stimmt. Heute allerdings bin ich Retuscheur. Vertreter eines aussterbenden Berufs.«
»Retuscheur? Warum eines aussterbenden?«
»Computer gibt es jetzt überall … Hier, guck mal …«Da ich Lust bekam, das Gespräch mit dem Kanariengelben fortzusetzen, nahm ich das Negativ mit Minajewa aus dem Kuvert und hob es hoch, damit es gegen das Licht zu betrachten war.
»Siehst du die Flecken? Färben wir ein, schaben ein bisschen hier und hier, decken den Kratzer mit transparenter Farbe ab. Oder auf dem Foto – hier und hier und hier bessern wir aus, dann machen wir eine Neuaufnahme und
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