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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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einen Abzug davon. Das Ergebnis bleibt trotzdem schlecht. Kühe fliegen nun mal nicht. Negativ wie Positiv, beides ist Mist. Die Aufnahme selbst ist gut, das Weitere aber Pfusch. Wer sich damit abplagt, der nennt sich Retuscheur.«
    »Und wird das gut bezahlt?«
    »Vorläufig kann ich nicht klagen. Wie du siehst, bin ich Stammgast bei dir.«
    Der Kanariengelbe lehnte sich zurück und sah mich nachdenklich an.
    »Hör mal, und jemanden auf einem Foto entfernen, kannst du das auch?«
    »Sowohl entfernen als auch einfügen.« Ich hatte das Interesse an dem Kanariengelben bereits verloren – ehrlich gesagt, mochte ich solche Leute nicht.
    »Einen Augenblick!« Er sprang auf und trabte zur Küche. »Einen Augenblick!«
    Es dauerte tatsächlich kaum länger als einen Augenblick, bis er zurückkam, ein großes Foto in einem breiten Goldrahmen unterm Arm.
    »Hier, guck. Ich und meine Freunde«, sagte der Kanariengelbe stolz. »Vor der Eröffnung. Wir stehen alle zusammen. Wie Brüder! Bei Gott, wie Brüder! Aber, verstehst du, zwei haben sich als falsche Fünfziger herausgestellt. Verraten haben sie mich. Betrogen. Kannst du sie entfernen?«
    Aus irgendeinem Grund rieselte es mir kalt über den Rücken, ein dumpfer Schmerz meldete sich im Hinterkopf, meine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Ohne zu begreifen, was mit mir vor sich ging, trank ich rasch mein Wasser aus, steckte mir eine neue Zigarette an, machte einen tiefen Zug, richtete den Blick vom Foto auf den Kanariengelben und nickte.
    »Wen?«, fragte ich.
    Der Kanariengelbe zog ein Abzeichen aus dem Revers seines Sakkos und machte mit der Nadel einen Einstich bei einem, dann bei einem zweiten der auf dem Foto Abgebildeten.
    »Diese!«
    »Kein Problem!«, sagte ich fest und begriff jetzt, was mit mir vor sich ging: Mir war unheimlich zumute.

Viertes Kapitel
    Auf dem Rückweg vom Restaurant zerbrach ich mir den Kopf, was wohl in Alina gefahren sein mochte, sie hatte doch nie Ansprüche erhoben, sich in nichts eingemischt, wie kam sie dazu, mir plötzlich derart zuzusetzen? Sollten wirklich die mir als Auftrag untergeschobenen Negative mit den Mädchen und die Auftraggeberin selbst, diese Minajewa, der Grund sein?
    Anscheinend ja, anscheinend konnte Alina, die ich bisher für besonnen und frei von Eifersucht gehalten hatte, nun einer anderen Kategorie zugeordnet werden – denen, die nicht nur nervenschwach, sondern auch um ihre Besitzrechte besorgt sind. Dieser Kennzeichenwechsel irritierte mich: Ich war inzwischen mit Alina vertraut geworden, glaubte zu wissen, was ich von ihr zu erwarten hatte. Offenbar war ich so erstaunt und verärgert, dass ich bei Rot über eine Kreuzung fuhr. Ich wurde unverzüglich gestoppt, kaufte mich jedoch damit, dass ich bezahlte, ohne zu feilschen, gewissermaßen von den Gedanken an Alina frei. Ich dachte nicht mehr an sie.
     
    In mein Studio zurückgekehrt, befestigte ich als Erstes das Negativ mit Minajewa am Retuschiergerät und schaltete das Unterlicht ein. Das Auge wandelte in gewohnter Weise die Farben des Negativs in Farben des Positivs um, registrierte die Flecken, die in erster Linie zu beheben waren. Ich trat ein paar Schritte vom Arbeitstisch zurück und betrachtete das Negativ mit geneigtem Kopf: Minajewa schien mir grüßend zuzunicken, ich schüttelte, wie als Antwort, den Kopf – keine Bange, meine Liebe, das erledigen wir auf höchstem Niveau! – und ging in die Küche: Kaffeewasser aufsetzen.
    Während ich das türkische Kaffeegefäß füllte, waren meine Gedanken jedoch nicht bei Minajewas Auftrag.
    Meine Gedanken waren bei der Bitte des Restaurantbesitzers. Das gerahmte Foto stand an der verkleideten langen Studiowand. Das große Gruppenbild war nicht ohne Sachkunde gemacht. Alle darauf sahen natürlich aus, alle lächelten, alle waren lebensvoll.
    Besonders die beiden mit dem Einstich. Die strahlten einfach Freude aus. Der Restaurantbesitzer selbst stand zwischen den Angestochenen, die Arme um ihre Schultern gelegt, voller Leben, mit ebenso strahlendem Lächeln. Er schien seine beiden ehemaligen Freunde zu mir hinzustoßen. Und zu sagen: »Da sind sie. Macht euch bekannt!«
     
    Dieses Restaurant besuchte ich häufig. Nicht etwa, weil es so besonders gut gewesen wäre. Es lag einfach günstig, die Preise waren zivil, und der Rausschmeißer wohnte überraschenderweise mit in meinem Haus, gehörte zu denen, die sich ähnlich wie Andronkina verhielten oder meinen Einzug und meine anschließende Expansion

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