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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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auf Ihre ›Sony‹-Anlage.«
    »Was wollten sie dann?«, fragte ich.
    »Weiß ich nicht.« Er stand auf. »Eines aber weiß ich ganz sicher. Ehe das gerichtsmedizinische Gutachten vorliegt. Ihr Nachbar ist draußen umgebracht worden, vor Ihren Fenstern. Und dann hat man ihn hier hereingeschleppt. Eine Inszenierung. Als hätte er einen Raubzug machen wollen. Nach irgendwelchen Papieren wurde gesucht.«
    »Wozu? Wer? Ich habe auch gar keine Papiere mehr. Ich habe sie verbrannt.«
    »Das wussten die nicht. Solange ich nach den Leuten fahnde, die hier eingestiegen sind, sollten Sie, Genrich Genrichowitsch, sehr vorsichtig sein. Sehr vorsichtig, verstehen Sie?«
    »Nein, verstehe ich nicht«, sagte ich nach einer kurzen Pause.
    »Nun, das kommt Ihnen so vor. Wenn Sie anfangen zu verstehen, rufen Sie mich an.«
    Er schrieb seine Telefonnummer auf ein Blatt seines Notizblocks, riss es heraus und reichte es mir.
    »Sie drohen die ganze Zeit: Ich werde dieses in Erfahrung bringen, jenes ausfindig machen«, sagte ich, wobei ich mich auf einen Hocker setzte. »Und was haben Sie vorzuweisen?! Der Mörder meines Vaters ist entwischt …«
    »Unter dieser Nummer – rund um die Uhr!«
    Der Glatzkopf wandte sich zum Ausgang.
    »Wir klären das!«, warf er mir über die Schulter zu.
     
    Dieser Untersuchungsführer hatte »Wir klären das!« mit der gleichen, halb verächtlichen Intonation gesagt wie vor vielen, vielen Jahren der ehemalige Kollege meines Vaters! Ohne jemanden anzusehen, durchquerte er das Studio in Richtung Vortreppe. Seine Leute packten einer wie der andere ihre Notizblöcke weg, formierten sich zu einer Art Kolonne und folgten ihrem Chef. Mir ging sogar der Gedanke durch den Kopf, ob er nicht womöglich ein Sohn des ehemaligen Kollegen meines Vaters war.
    Ich zündete mir eine Zigarette an und bemerkte den vor den Fenstern herumlungernden Schlosser der Hausverwaltung. Höchstwahrscheinlich war er es gewesen, der auf Anweisung des Abschnittsbevollmächtigten die Schlösser aufgebrochen hatte.
    Ich näherte mich dem Fenster und rief ihn an. Der Schlosser brauchte Arbeit, er war darauf erpicht, das von ihm Demolierte wieder instand zu setzen. Speichel sprühend, beeilte er sich, mir zu erklären, dass es sich bei meinen Türschlössern um teure Exemplare handele, mit der Reparatur kaputter Schlösser sei es nicht so einfach, besser, man kaufe neue und repariere die alten in Ruhe, um sie günstig zu verkaufen.
    Ich hörte ihm geduldig zu. Endlich ging ihm die Luft aus, er atmete tief durch. Ich steckte die Hand in die Tasche und holte Geld heraus.
    »Wechsel die Schlösser aus. Bau ein neues Fenster ein und verglase es. Außen mit Gitter. Schließ alles ab. Die Schlüssel nimm mit. Ich komme morgen früh, und du übergibst mir die Schlüssel. Kriegst du das hin?«
    »Klar!« Der Schlosser wartete darauf, dass sich meine Faust öffnete.
    Das Geld wanderte in seine Hand. Ohne seine Freude zu verhehlen, atmete er noch einmal durch, jetzt leicht und frei.
    Ich sah nach unten: Auf dem Fußboden am Fenster lagen in einer dunklen eingetrockneten Blutlache Glassplitter verstreut.
    »Und räum das Glas hier weg!«, sagte ich.
    »Mach ich, mach ich!« Er nickte. »Und den Fleck! Den Fleck kratze ich auch weg. Wird alles gesäubert. Keine Sorge, Chef. Wird alles bestens!«
    Ich drückte die Kippe aus, trat auf die Vortreppe und ging zum Auto hinunter. Genauer gesagt, zu dem schwarzen Kuvert, das auf dem Sitz liegen geblieben war.
    Glaubte ich damals, was sie mir erzählt hatte? Natürlich! Lisa war ja kurz vor ihrem Umzug in unser Haus genau das Gleiche passiert. Wie wild war ich damals darauf, den zu finden, der ihr das angetan hatte! Was für Strafen dachte ich mir für ihn aus! Jetzt bot sich mir eine einzigartige Möglichkeit: Lisa wiederzugewinnen und Rache zu üben.
    Ich durfte sie mir nicht entgehen lassen.
    Indessen gab mir die Verwüstung meines Studios Anlass, noch etwas anderes zu bedenken. Wenn der Glatzkopf recht hatte, wenn das kein Einbruchsdiebstahl, sondern tatsächlich eine Inszenierung war, wenn jemand nach meinem Archiv gesucht hatte, dann musste sich dieser Jemand für meine Arbeit, mein Retuschieren interessieren. Jemand versuchte auf diese Weise zu zeigen: Meine Gabe wurde gebraucht, die Zeit war gekommen, sich meine Gabe genauso zunutze zu machen wie seinerzeit die meines Vaters.
     
    Ich startete das Auto und fuhr vom Hof auf die Straße. Nachdem ich mich in die äußerste, linke Spur eingeordnet hatte,

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