Der Retuscheur
sind auch wir gekommen.« Er nahm mich bei der Hand, führte mich wie einen Jungen, der einen Streich verübt hat, zu der Bahre und nickte den Krankenträgern zu wie in einem Hollywoodfilm. Doch die Krankenträger waren aus keiner Hollywoodwelt, sie bewahrten ihren stumpfen Gesichtsausdruck und reagierten nicht. Er war gezwungen, sich selbst zu der Bahre hinunterzubeugen und das Laken anzuheben.
Auf der Bahre lag mein lieber Ruheständler. Über und über mit verkrustetem Blut beschmiert, die Hände zerschnitten, am Hals eine klaffende Wunde.
Offen gestanden, mein erster Gedanke war, ob ich nicht auch sein Negativ in der Mache gehabt hatte. Nein, hatte ich nicht, stellte ich mit schon etwas erleichtertem Seufzen fest.
Die Erleichterung hielt jedoch nur wenige Augenbücke an. Was hatte der Ruheständler in meinem Studio gemacht, wodurch war er zu Tode gekommen, und zwar so, als wäre er unter die Guillotine geraten?
»Kennen Sie diesen Menschen?«, fragte der Glatzkopf.
»Natürlich«, antwortete ich. »Mein Nachbar.«
Er nickte den Krankenträgern wieder zu, und diesmal regten sie sich, warfen das Laken über den Leichnam und schleppten die Bahre zur Tür. Dort blieben sie erst einmal mit ihr stecken, sie mussten sie leicht kippen, um ein Haar wäre der Leichnam heruntergefallen. Der Hintere beförderte den Ruheständler mit dem Knie auf die Bahre zurück, doch dessen heruntergerutschte und fast bis auf den Boden herabhängende Hand schlug gegen die hohe Schwelle. Ein mir unbekanntes Telefonklingeln ertönte, einer der im Studio hin und her huschenden Zivilisten zog ein Handy aus der Tasche, klappte es auf, reichte es dem Glatzkopf.
»Ja! Ja«, sagte der in den Hörer und gab mir einen Wink, als wollte er mir bedeuten: Mach einstweilen einen Spaziergang! »Der Wohnungsinhaber ist gerade gekommen. Nein. Gut. Ja, ich werde da sein. Was? Ja. Klar. Ja. Ja. Nein …«
Solange er sprach, trat ich zur Tür. Die Krankenträger schoben die Bahre geschickt in ihr Fahrzeug, zündeten sich Zigaretten an, stiegen ein. Der Fahrer der Ambulanz setzte ruckartig zurück, der neben ihm sitzende Arzt fuhr auf, hob schläfrig den Kopf, sah mich an und winkte mir unverhofft forsch zu.
»Kommen Sie«, sagte der herangetretene Glatzkopf, wobei er auf die Küche wies. Wir gingen hinein.
In der Küche setzte er sich auf einen Stuhl am Tisch und nahm seinen Notizblock aus der Tasche.
»Sie sagen also, Sie haben ihn gekannt?«, fragte er, in seinem Notizblock blätternd.
Ich griff den Teekessel vom Herd und nahm einen Schluck aus der Tülle.
»Kannten Sie ihn näher?«
Ich stellte den Teekessel auf den Herd.
»Ja. Wir hatten ein ausgezeichnetes Verhältnis. Gelegentlich tranken wir sogar zusammen.«
»Ein ausgezeichnetes? Weshalb ist er dann bei Ihnen durch die Lüftungsklappe eingestiegen, hat hier der Teufel weiß was angestellt, Geräte zusammengesucht? Hm? Keine Antwort? Keine. Der Fensterrahmen, verstehen Sie, hat nicht standgehalten. Auf dem Rückweg. Ist gebrochen unter seinem Gewicht, er ist auf das Glas gestürzt und verblutet. Ja, in der Tat, Ihr Verhältnis war ausgezeichnet.« Er legte den Notizblock weg. »Hat er gewusst, wo bei Ihnen was liegt?«
»Wo was liegt? Nein, ich denke, das hat er nicht gewusst.«
»Klar! Also hat er gesucht. Auf den ersten Blick – ist etwas abhandengekommen?«
»Ich weiß nicht. Wenn der Panzerschrank nicht aufgebrochen wurde und die Stereoanlage noch da ist …?«
»Der Panzerschrank ist aufgebrochen, Ihre Kameras sind eingepackt, die Stereoanlage ebenfalls. All das hat der Abschnittsbevollmächtigte unter dem Fenster gefunden. Zwei große Kartons.« Er kaute nachdenklich an seinem Bleistift. »In letzter Zeit sind die Unglücksfälle nur so auf Sie eingestürzt. Das Restaurant. Der Tod Ihres Vaters. Und jetzt diese missglückte Ausraubung.«
»Was hat der Tod meines Vaters mit dem Restaurant und mit dem hier zu tun?«, fragte ich.
»Weiß ich nicht.« Er nahm den Bleistift aus dem Mund und betrachtete aufmerksam den Abdruck seiner Zähne. »Ich ziehe nur ein gewisses Fazit. Ein vorläufiges.«
»Wie darf ich Sie verstehen?«
»Er war hier nicht allein. Die mit dabei waren, haben Spuren hinterlassen. Ein paar wenige. Ihr Panzerschrank ist nicht so einfach zu knacken. Selbst ein ehemaliger Jagdbomberflieger wäre mit ihm nicht zu Rande gekommen. Dazu wurden Profis gebraucht, aber mir scheint, sie hatten es ganz und gar nicht auf Ihre teure Fototechnik abgesehen. Und auch nicht
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