Der Retuscheur
und Litzen, Hochzeitspaaren und ihren stolzen Verwandten mit stumpfen Visagen verlangte es mich nach etwas, was völlig anders war, was eine völlig andere Poetik hatte. Doch ebenso banal war.
Halbakte eigneten sich bestens. Ausgestreckt daliegende, ihre Natürlichkeit demonstrierende Nackedeis fielen gänzlich unter den Pornographie-Paragraphen des Strafgesetzbuches. Halbakte entzogen sich den strengen gesetzlichen Bestimmungen. Die pseudokünstlerischen Finessen verliehen ihnen einen schöpferischen Anstrich: Tüll in der bewussten Region, leichter Schatten am Busen, gerichteter Einsatz von Licht, Schminke, Salben, die einen störenden Pickel abzudecken vermochten: Halbaktmodelle waren allesamt stramm, futterten Cremetörtchen, süßten den Tee mit fünf Löffeln Zucker.
Tatjana fotografierte ich in dem Erholungsheim. Am Tag nach dem Tanzabend. Ich fotografierte sie – sie bat selbst darum – auch in der folgenden Nacht, genauer gesagt, direkt vor Tagesanbruch, im Morgendunst.
Am Morgen und am Tage, als wir zur Rückfahrt rüsteten.
Warum hat sie mir erlaubt, sie aufzunehmen? Glaubte sie nicht an meine Fähigkeiten? Setzte sie darauf, dass ihr nichts passieren könne, dass sich meine Hand gegen sie nicht erheben würde? Oder hatte sie sich als willenloses, gefügiges Werkzeug mit dem Plan der Zeugenbeseitigung abgefunden und, da ihr die Konsequenzen bewusst waren, nicht die Kraft aufgebracht, sich zu verweigern? Diese Fragen stelle ich mir allerdings erst jetzt. Jetzt überlege ich, was sie ist – Werkzeug oder Schütze?
Damals, in dem Erholungsheim, noch bevor ich am Morgen zur Kamera griff, noch in der Nacht, sah ich in jeder Regung der Liebe, in jeder ihrer Umarmungen, in jedem ihrer Ausrufe nahende Befreiung.
Sie schien mich ins Leben zurückzuführen. Sich windend, meine Lenden mit den Beinen umfangend, schien sie mir den Weg zu weisen, auf dem ich die für immer verloren geglaubte Frische und Unbefangenheit wiedergewinnen konnte. Das Rezept war erstaunlich einfach: Lieben muss man, nicht bumsen, lieben und sich seines Gefühls nicht genieren.
Auf den Probeabzügen – da war freilich fast ein Tag nach unserer Rückkehr vergangen – konnte ich die Dynamik verfolgen: Das Modell gewann von Aufnahme zu Aufnahme an Lebendigkeit.
Ja, noch in unserer ersten Nacht bat sie mich, zur Kamera zu greifen. Ich glaubte, sie scherze.
»Erregt dich das?«, fragte ich.
»Mich erregst du!« Sie rollte über mich hinweg, küsste mich, stieg aus dem Bett und trat auf Zehenspitzen zu dem hohen, vom Fußboden bis zur Decke reichenden Fenster, das auf die den ganzen Bungalow umlaufende Loggia ging.
Sie öffnete das Fenster weit, und das Zirpen der rastlosen nächtlichen Insekten erfüllte das Zimmer. Sie stand in der Fensteröffnung und sog mit hochgezogenen Schultern die würzige kühle Luft ein. Das Licht der Lampe neben dem Bett verlieh ihrem Körper eine erstaunlich weiche, fast himbeerfarbene Tönung. Die Gesäßbacken warfen einen kurzen Schatten auf die Schenkel, die Schulterblätter tauchten unter den frei herabfallenden Haaren auf, um gleich wieder zu verschwinden.
Mit lautlosen Schritten schlich ich mich an sie heran und umfasste sie von hinten.
Ihre Brustwarzen waren straff und kalt, der Bauch eingezogen. Meine Hand wanderte abwärts, ich presste mich gegen ihren Rücken.
»Was ist das? Ein Objektiv?«, fragte sie, leicht nach hinten geneigt.
»Ganz recht.« Ich spannte mich leicht an, sie musste einen Ausfallschritt machen; um nicht hinzufallen, griff sie mit den Händen nach vorn, stützte sich an der Loggienbegrenzung ab und spreizte die Beine weiter.
»Mit langer Brennweite?«, fragte sie.
»Was?« Ich war bereits in ihr. »Ich weiß nicht. Was meinst du?«
»Mit langer Brennweite«, hauchte sie.
Am Tage erzählte ich ihr von meinem seltsamen Zechkumpan und dem Foto, auf dem mein Vater den später an den Füßen aufgehängten Duce hatte verschwinden lassen.
»Vielleicht solltest du diesen Menschen ausfindig machen?«, meinte sie.
»Wozu?«
Wir trieben langsam flussab, auf der Bank liegend, brachte Tatjana das Boot mit den ins Wasser hängenden Beinen leicht zum Schaukeln.
»Er weiß bestimmt noch etwas! Du musst unbedingt mit ihm sprechen! Unbedingt!«
»Schaukel nicht! Wir kentern noch!«
»Hast du Angst?« Sie machte eine so kräftige Bewegung, dass das Boot kenterte.
Erst am Nachmittag, genauer gesagt, nach unserem nachmittäglichen Schäferstündchen, begab ich mich
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