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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Stachow
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Zeiten sind nun mal so. Gefährliche Zeiten!«
    Wir traten ins Haus. Die Haustür war noch nicht zugegangen, als ich hörte, wie im Hof ein Auto angelassen wurde. Fast gleichzeitig holte jemand den Fahrstuhl nach oben.
    Der Glatzkopf schlich sich näher und steckte die Hand unters Jackett.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Vorsichtsmaßnahmen«, wiederholte er etwas heiser.
    Wir standen am Fahrstuhl, der jetzt herunterkam. Er hielt, die Tür ging auf. In der Kabine war niemand. Wir betraten sie und fuhren hoch. Die Wohnungstür war spaltbreit geöffnet.
    »Haben Sie jetzt begriffen?« Er zog die Pistole aus dem Halfter und lauschte. Im Treppenhaus war es still.
    »Clevere Jungs!«, sagte er anerkennend, stieß die Wohnungstür auf und ging, die Pistole im Anschlag, als Erster hinein.
    »Haben Sie das Licht brennen lassen?«, fragte er flüsternd.
    »Ja«, antwortete ich und folgte ihm.
    »Und das Fenster haben Sie geöffnet?« Er hielt auf der Schwelle des Zimmers inne.
    »Ja!«
    »Machen Sie die Tür zu!«, befahl er. »Und schließen Sie ab!«
    "Während ich das tat, nahm er eine rasche Untersuchung der Wohnung vor.
    »Sie hatten Besuch«, sagte er, als ich ins Zimmer trat. »Ungebetene Gäste. Wie auch im Studio. Ich denke, das waren ein und dieselben Leute.«
    Ich stellte die Flaschen auf den Tisch.
    »Weswegen? Wer hat das nötig?«
    »Überlegen Sie, Genrich Genrichowitsch, überlegen Sie! Wenn Sie sich anstrengen, kommen Sie bestimmt darauf, wer das war und weswegen sie hergekommen sind!« Er sah auf dem Tisch nach. »Ha! Sie haben nicht geschafft, es wegzuräumen! Wir haben sie aufgescheucht! So ein Schnitzer! Und das wollen Profis sein! Scheißer sind das und keine Profis!«
    Ich trat näher heran: Über Baibikows Fotos lagen fächerartig andere, mit der Anlage meines Vaters gemachte – in der rechten unteren Ecke die Angabe des Datums und der Aufnahmezeit. Auf einigen war Tatjana drauf, auf zwei weiteren ich selbst, auf den restlichen mir unbekannte Leute.
    »Da ist er ja, der Liebe!« Der Glatzkopf zog aus seiner Jacketttasche das Foto heraus, das er mir beim Verhör gezeigt hatte, und legte es neben eines von den mit der Anlage meines Vaters gemachten. »Ein hübscher Kerl, nicht wahr? Wozu brauchen Sie denn so viele Aufnahmen dieses Renegaten?« Er zeigte mit dem Finger auf die Fotos Baibikows.
    »Warum Renegaten?«, fragte ich verwundert.
    »Das erzähle ich Ihnen später. Und was den betrifft« – er nahm sein Foto und betrachtete weich gestimmt das Gesicht des breitschultrigen »Schönlings« –, »so ist er heute Abend ermordet worden. Genickschuss. Nun, genehmigen wir uns je hundert Gramm? Wo sind bei Ihnen, pardon, bei Ihrem Vater, die Trinkgläser?«
    »Mein Vater hat aus Schnapsgläsern getrunken.«
    »Sie nehmen jetzt besser ein Trinkglas, Genrich Genrichowitsch. Glauben Sie mir!«

Elftes Kapitel
    Sie muss jeden Moment kommen. Wir waren für halb elf verabredet. Jetzt ist es schon Viertel vor, und ich werde immer nervöser. Sie verspätet sich, wo sie doch pünktlich sein sollte: Ihre Aktion ist bestimmt bis auf die Minute exakt geplant, sie haben durch die mit meinem Vater gemachten Umstände ohnehin schon viel Zeit verloren.
    Zeitverlust ist für sie geradezu tödlich. Sie hoffen ja noch so viel zu schaffen. Mit meiner Hilfe.
    Ich laufe in meinem Studio hin und her, schalte das Licht aus, lasse nur die Lampe auf dem Arbeitstisch an, trete ans Fenster, mit dessen Splittern sich angeblich der unglückliche Ruheständler die Kehle durchgeschnitten hat. Eine Hand am Fensterrahmen, blicke ich durch die neu eingesetzten Scheiben in den Hof, und mir ist, als käme sie auf dem Weg durch die Grünanlage auf meine Vortreppe zu.
    Nein, schön ist sie nicht. Sie hat ein unregelmäßiges, eckiges Gesicht. Hohe Jochbeine, zu dunkle Augen für eine so blasse Haut. Eine schmale Nase, einen großen Schmollmund. Sie ist hager. Und diese ewigen Schals! Diese Tücher! Als geniere sie sich wegen ihrer blassblauen Äderchen. Dabei gefallen mir die Äderchen an ihrem Hals, mir gefällt es, dass die Mulde unterhalb des Hinterkopfes mit dunkleren Haaren bewachsen ist als oben. Und härteren. Sie haben mir damals in dem Erholungsheim sogar ein bisschen die Lippen zerpikt.
    Sie kommt immer näher, während ich mich umwende und ihre auf dem Arbeitstisch liegenden Fotos betrachte. Erst kürzlich mit glänzender Oberfläche gemacht, liegen sie in chronologischer Reihenfolge da. Von der ersten bis zur letzten Aufnahme.

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