Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
worden. Jacques fuhr langsam weiter, wie von einem Magneten gezogen, bis er direkt vor Margauxs Wohnung einen Parkplatz fand.
Ganz wohl fühlte er sich nicht, als er vor dem Aufzug wartete. Er besaß zwar die Schlüssel, seit er vor zwei Jahren für kurze Zeit zu ihr gezogen war, aber nach seinem Auszug hatte er hier nie mehr allein übernachtet.
Mitten in der Nacht wachte er schweißgebadet auf, weil er glaubte, das Telefon habe geläutet. In Wahrheit war es ein Ton gewesen, den Jacques schon kannte. Dieses imaginäre Telefon hatte ihn in den letzten Monaten hin und wieder aus dem Schlaf geschreckt. Er lag eine Weile wach, fühlte sich aber wie betäubt. Er stand auf und ging ins Bad. Es roch nach Margaux. Nach ihren Düften, Seifen, Parfüms und Salben, wovon er ihr manche geschenkt hatte, aber dennoch kam es ihm vor, als gehörte er nicht mehr hierher.
Er stieg unter die eiskalte Dusche, trocknete sich ab und zog eines der frischen Hemden an, die er in ihrem Schrank deponiert hatte. Automatisch räumte er sein Rasierzeug aus dem Toilettenschränkchen und packte es in eine Plastiktüte, die er aus der Küche holte. In eine zweite Plastiktüte stopfte er den Rest seiner Wäsche.
Im Esszimmer duftete der Blumenstrauß, den er Margaux erst vorgestern geschenkt hatte, und ein wenig Blutenstaub belebte die Tischplatte. Kaum hatte Jacques die beiden Schlösser an der Wohnungstür abgeschlossen, da öffnete er sie wieder, stellte seine Plastiktüten in der Diele ab, lief ins Schlafzimmer und versuchte, das Bett so ordentlich herzurichten, als habe er nicht darin geschlafen. Er zupfte an jeder Ecke, doch so ordentlich wie bei Margaux sah es nicht aus. Noch eine Korrektur oben an
den Kopfkissen, und mit einem Rundumblick vergewisserte er sich, dass nichts seinen kurzen Besuch verraten würde.
Auf dem Boulevard de Belleville parkte er seinen Dienstwagen im Halteverbot auf dem Gehweg und stieg mit geschärften Sinnen die Treppe zu seinem Appartement hoch. Alles schien ihm wie immer. Weder am Schloss noch am Türrahmen entdeckte er irgendwelche Spuren, die auf einen Einbruch hingewiesen hätten. Also schloss er auf. Im Wohnzimmer fiel das Licht der Straßenlaterne durch das Fenster herein. Ein Auto fuhr laut vorbei. Jacques ließ die Eingangstür zufallen und klemmte einen Stuhl mit der Lehne unter den Türknopf. Dann zog er den Vorhang zu, knipste alle Lampen an, ging in die Küche, ließ drei Eiswürfel ins Glas fallen und goss den Ballantines, den ihm Margaux geschenkt hatte, drüber. Einen Daumen breit, erklärte er stets, das sei sein Maß. Aus den CDs kramte er den Buena Vista Social Club heraus, schob die Scheibe in den Player und legte sich in seinen Lesesessel. Aber dann war ihm das Licht zu hell, und er schaltete bis auf zwei Lampen alle wieder aus.
Beflügelt von der karibischen Salsa-Musik reiste Jacques mit geschlossenen Augen nach Martinique, fuhr über die N 3 zur Habitation Alize und zu Amadee, stellte sich vor, er säße wie an jenem letzten Abend auf der Veranda und speiste mit ihr zu Abend. Kaiman in Ingwersauce.
Aber dann quälten ihn wieder die entsetzlichen Erfahrungen von Gilles, der unmenschliche Menschen erlebt hatte. Aber nein, unmenschlich kann der Mensch nicht sein, weil er, bei allem, was er anstellt, Mensch bleibt, dachte er. Aber nicht einmal Tiere quälen ihre Artgenossen, nur Menschen sind imstande, sich so etwas auszudenken, alle Menschen. Keiner ist besser oder böser, ob Franzosen, Russen, Deutsche oder Chinesen und Japaner, ob Christen, Heiden, Juden oder Muslime und Hindus. Was sollen die Wortspiele um den unmenschlichen Menschen! Der Mensch kann so oder so sein. Gilles und sein Sohn Eric
haben es im Dschungel von Vietnam erlebt. Menschen traten eben in der Biografie von Gilles Maurel oder in der von Freddy Bonfort auf.
Was ist mit Freddy Bonfort passiert? Mit einem Mal war Jacques hellwach, setzte sich an den Tisch, klappte seinen Laptop auf und schaltete ihn ein. Während das Programm hochfuhr, ging er in die Küche, ließ drei Eiswürfel in sein Glas fallen und schüttete einen neuen Whisky hinterher, diesmal nur noch einen kleinen Finger breit, so groß war stets sein zweites Maß. Der Computer surrte und rauschte, es klickte, und auf dem Bildschirm bewegte sich viel, aber es dauerte noch drei Minuten, bis er sich ins Internet einwählen und die Suchmaschine anklicken konnte. In die Maske schrieb er: Freddy Bonfort. Es gab keinen Hinweis. Also versuchte Jacques es mit seinem
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