Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
aufspüren. Ich sehe darin wenig Sinn.«
»Ich weiß, Sie sind ein Sturkopf«, sagte die Gerichtspräsidentin, und ihre Miene deutete an, dass sie es freundlich meinte: »Vielleicht stellen wir einen Streifenwagen nachts vor Ihr Haus. Das wirkt abschreckend. Und dann nehmen Sie von heute an meinen Dienstwagen und lassen Ihren hier in der Garage stehen. Den kennen zu viele Leute.«
»Madame, ich weiß Ihre Fürsorge zu schätzen, aber ich habe wirklich keine Angst.«
Natürlich war ihm unwohl, aber Angst wollte er sich selbst gegenüber nicht zugeben.
»Je weniger ich mich verstecke, desto mehr bin ich geschützt. Stellen Sie sich vor, mir würde etwas passieren, und sei es nur ein Unfall. Alle Welt würde behaupten, dahinter stünde die Regierungspartei, ja, vielleicht sogar der Präsident. Dieses Risiko wird keiner eingehen. Danke für das Angebot, aber Sie wissen doch, wie schlecht ich Auto fahre. Ich will für keine Kratzer an Ihrem Wagen verantwortlich sein.«
Der Rest des Wochenendes verlief schnell. Bis spät am Samstagabend las sich Jacques in die Problematik der Vorladung eines Zeugen ein. Und obwohl er seit Jahren mit
diesen Dingen beschäftigt war, entdeckte er in der juristischen Literatur Hinweise auf die merkwürdigsten Fehler, die ein Untersuchungsrichter in so einem Fall machen konnte. Ein falscher Titel, ein Punkt statt eines Kommas in der Adresse konnten zur Aufhebung führen. Und schließlich waren sich die Theoretiker nicht einig, ob ein Präsident als Zeuge aussagen müsste. In seiner Amtszeit als Staatspräsident habe Valery Giscard d'Estaing eine Ladung als Zeuge freiwillig befolgt, und deshalb stritten sich die Gelehrten, ob diese Freiwilligkeit für die Nachfolger juristische Folgen haben könnte.
Bevor er sein Büro abschloss, schickte Jacques per E-Mail noch eine Anfrage an den Untersuchungsrichter in Lyon, mit der Bitte, ihm die Unterlagen zum Mord an Freddy Bonfort zuzusenden, da er - genau wie der General - mit einem einzigen Schuss ins Herz getötet worden war. Es eile, fügte er hinzu. Auch Kommissar Jean Mahon unterrichtete er von seinem Fund und bat, die Kugel, die den General getötet hatte, mit der im Fall Bonfort zu vergleichen.
Am Sonntag entwarf Jacques die Vorladung für den Präsidenten wie für jeden einfachen Bürger: kein Titel, nur Namen Komma Vornamen. Als Adresse gab er nicht das Palais de l'Elysee an, wie der Sitz des Staatspräsidenten offiziell heißt, sondern nur die Anschrift 55, rue du Faubourg-Saint-Honore, 75008 Paris. Nicht das Geringste sollte darauf hinweisen, dass der Staatspräsident gemeint war, sondern die Vorladung erging an den Bürger gleicher Identität.
Als Martine kam, begrüßte er sie wie immer, schob ihr aber einen Zettel hin, auf den er geschrieben hatte: »Vorsicht! Hier können Wanzen sein.« Martine lachte, nickte stumm, warf ihren Computer an und begann zu schreiben, während Jacques sich über ihren Rücken beugte und Korrekturen vorschlug.
Als die Vorladung, ein einziges, einfaches Blatt, schließlich ausgedruckt vor ihnen lag, bewunderten sie ihr Werk, als handelte es sich um eine seltene Originalhandschrift aus dem
sechzehnten Jahrhundert, um ein Sonett von Pierre de Ronsard, den Jacques seit seiner Schulzeit besonders schätzte, über das Altern einer Rose zum Beispiel.
Erst im Aufzug zur Tiefgarage redeten sie miteinander, und Jacques bat Martine um einen Gefallen.
»Könnten wir für ein paar Tage die Handys tauschen? Ich vermute, auch das wird abgehört, mit deinem würde ich mich sicherer fühlen.«
»Aber bitte mach meine Freundinnen nicht an, wenn sie anrufen!«
Sie tauschten die Geräte, schrieben sich gegenseitig die PIN-Nummer auf und erinnerten sich daran, am Montag die jeweiligen Ladegeräte mitzubringen.
»Und was mache ich, wenn jemand anruft?«, fragte Martine. »Geh nicht ran. Es sei denn, du siehst im Display, dass ich es bin. Und ich mache es genauso.«
Am Abend klingelte das Telefon in seinem Wohnzimmer mehrmals lange. Er hob nicht ab.
*
Die folgenden zehn Tage hätte Jacques gern aus dem Kalender seines Lebens gestrichen.
»Schöne Frau«, begrüßte ihn Gaston am Montagmorgen im Bistro.
»Was heißt »schöne Frau«? Ich brauche erst einmal einen Cafe au lait. Und ein Croissant. Nein, zwei.«
Gaston schob ihm eine Boulevardzeitung zu, blätterte auf Seite drei und zeigte mit dem Finger auf ein nicht all zu großes Foto, das genau zeigte, was die Bildunterschrift beschrieb: Untersuchungsrichter
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