Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
General in Algerien und Bonfort in Vietnam?«
»A - die Art, wie sie ermordet wurden. B - beide befassten sich mit der gleichen Person, nämlich mit Gilles.«
»Aber du hast doch gesagt, Gilles könne kaum der Mörder des Generals gewesen sein.«
»Was wissen wir, ob nicht eine ähnliche Verbindung zu einer weiteren Person besteht, die wir nicht kennen? Vielleicht entdecke ich einen Hinweis in seinen Sachen, etwas, wovon ihr nichts wisst und das einen Zusammenhang herstellt.«
»Ich bin gespannt!«
Paris und der Stress entfernten sich mit jedem Glas mehr, und Jacques trank weiter Rotwein, ließ sich von Claude noch zu mehreren Armagnacs überreden und fiel schließlich wie betäubt auf die Matratze im Gästezimmer.
Weder bei der Polizei noch bei Gericht fand sich ein Beamter, der neunundzwanzig Jahre zuvor mit dem Mord an Freddy Bonfort befasst gewesen war. Deshalb führte Claude seinen Kollegen Jacques in einen leeren, nüchternen Raum, in den er einen Teil der Unterlagen hatte bringen lassen.
»Dies sind die Kartons mit seinen persönlichen Papieren«, erklärte er. »Wahrscheinlich wirst du in denen am ehesten etwas finden. Auf dem Schreibtisch liegen die amtlichen Berichte zum Mord und eine von ihm selbst geschriebene Lebensgeschichte oder so etwas Ähnliches. Ich hab nicht weiter reingeschaut, aber angeblich erzählt er da einiges. Allerdings hat auch daraus niemand ein Motiv basteln können.«
Claude drehte sich um und sagte schon an der Tür: »Viel Spaß. Kaffee kannst du jederzeit im Büro bei meiner Assistentin holen!«
Jacques setzte sich an den Tisch. Und während er das Polizeidossier zu sich zog, fragte er seinen Richterfreund: »Wurde damals irgendjemand wegen Mordes verdächtigt?«
»Nicht, dass ich wüsste. Ich habe aber wirklich nie ausführlicher in die Akten geschaut. Du weißt doch, wie das ist. Du kommst auf einen neuen Posten, und da liegen schon hundertvierzig aktuelle Verfahren, die du so schnell wie möglich bearbeiten sollst. Was schert dich da ein ungeklärter Fall, der Jahrzehnte zurückliegt.«
Die Polizeiakten halfen Jacques nicht weiter. Am 12. Oktober 1974 war die Luft noch so warm gewesen wie im Sommer, Freddy Bonfort hatte auf seinem Balkon in der Sonne gesessen und war plötzlich von seinem Stuhl gekippt. Er war mit einem Schuss, mitten ins Herz, getötet worden.
Nein, niemand hatte etwas gehört, was aber auch nicht verwunderte, denn tagsüber hallt der Lärm von Autos und Motorrädern laut durch die engen, alten Straßen.
Jacques legte die amtlichen Dossiers schnell beiseite,
nachdem er sie oberflächlich durchgesehen hatte, er war gespannt darauf, wie ehrlich der Leiter des vietnamesischen Gefangenenlagers, über das Gilles Maurel mit seinem Carnet Zeugnis abgegeben hatte, sein Leben beschrieb.
Zunächst las er einen Brief von Bonfort an den Rektor der Universität von Lyon, in dem er eine Rechtfertigungsschrift ankündigt und bittet, die wissenschaftliche Institution, der er angehöre, möge sein Vorgehen verstehen und - wie er es verlangen dürfe - in der Öffentlichkeit offiziell verteidigen. In diesem Schreiben an seinen obersten Vorgesetzten betont Bonfort, er werde mit sich selbst schonungslos umgehen, Fehler eingestehen - denn nur daraus könne man lernen -, und er wolle offen, ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen, alle Tatsachen schildern.
Das Manuskript umfasste knapp zwanzig Seiten, die Bonfort mit Schreibmaschine eng und einigermaßen fehlerfrei auf fast durchsichtiges Papier getippt hatte. Zunächst glaubte Jacques, es handele sich dabei um altes Luftpostpapier, dünn und besonders leicht, bis er bemerkte, dass es sich um Durchschlagpapier handelte, aus jenen Zeiten, in denen man noch mit der Schreibmaschine und Kohlepapier Kopien herstellte.
Oben links stand auf der ersten Seite »Professor Freddy Bonfort, Januar 1973« und ein paar Zeilen tiefer, als Überschrift - nur drei Worte:
»Verteidigung einer Utopie«
Dann beginnt der Text:
»Seit eine Pariser Tageszeitung sich genötigt gefühlt hat, meine Adresse zu veröffentlichen, bin ich Opfer eines Ausbruchs von Hass. Ich erhalte beleidigende, mich bedrohende Telefonanrufe, und Graffitis an den Mauern in meiner Wohngegend rufen zur Gewalt gegen mich auf. Das vietnamesische Gefangenenlager 13 wird plötzlich zum Lager Bonfort, ich bin ein Abgesandter der Kominform, ein
Politkommissar und Experte für Gehirnwäsche. >Ein Komplize der roten Folterer lehrt unsere Kinder Geschichte!<, heißt
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