Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte
er sich von ihr vor ihrem Wagen verabschiedete, gaben sie sich doch eine Bise.
Das war's, Margaux. Aber Paris und der Stress waten Jacques immer noch zu viel. Der Hohe Rat des Magistrats würde erst in einer Woche tagen, so könnte er die Gelegenheit nutzen, um nach Lyon zu fahren Und in den Unterlagen über den Mord an Freddy Bonfort zu stöbern. Keine Spur auslassen war die Devise seines Erfolgs.
Recherche in Lyon
Pariser schauen auf Lyoneser herab, weil sie Provinzbürger seien. Sie tun ihnen Unrecht. In Lyon mag man zwar weniger schick sein, aber in Lyon ist der Geist freier. Hier prunkt man nicht mit Luxus, stellt sich nicht zur Schau, eine Selbstbeschränkung, die weniger von Enge als von Zurückhaltung zeugt.
Im 19. Jahrhundert trugen Lyoneser Wissenschaftler wie Andre Ampere, Erfinder der Telegrafie, oder die Brüder Lumiere, Erfinder der Fotografie, zum Fortschritt nicht nur Frankreichs, nein, der Welt bei. Erfindungsreichtum und Sinn für Handel haben Lyon schon vor Jahrhunderten reich gemacht.
Die Altstadt zeugt vom Reichtum der Renaissance. Architekten kamen im Gefolge von italienischen Bankiers, die das Geldgewerbe beherrschten, vor allem aus Florenz. Der alte Teil von Lyon ist die größte erhaltene Renaissance-Stadt der Welt. Vor einigen Jahren wollte ein Bürgermeister die alten Häuser abreißen und eines jener grässlichen Hochhausviertel errichten lassen, die Vororte jeder mittelmäßigen Stadt, ja, auch von Paris, verschandeln und deren Bau die schwarzen Kassen der Politiker und Parteien füllen.
Eine Initiative hoch angesehener Bürger rettete das historische Viertel von Lyon, der Bürgermeister wurde abgewählt, und heute erhält jeder großzügige Finanzspritzen, der in der Altstadt ein aus der Renaissance stammendes Gemäuer kauft und renoviert.
So war auch Jacques' Kollege, Untersuchungsrichter Claude Mancel, in den Besitz seines Haus gelangt, in dem zwar nur zwei Zimmer auf jeder Etage Platz hatten - aber das über vier Etagen hinweg, ausgebauter Speicher eingeschlossen.
Quer durch diese Altstadt ziehen sich »traboules«, geheimnisvolle Gänge, die zwischen Häusern und Höfen hindurch die einzelnen Querstraßen verbinden und deren Geflecht nur Einheimischen bekannt ist. Von seinem Haus aus führte der Richter Claude Mancel seinen berühmten Kollegen aus Paris durch die traboules in ein kleines Bistro. Schon beim Aperitif begann Jacques seine Version der Geschichte zu erzählen.
Claude nahm einen Schluck, unterbrach ihn und wollte erst einmal wissen, weshalb sich Jacques so sehr für Bonfort interessiere.
»Man muss jeder nur möglichen Spur nachgehen«, antwortete Jacques. »Das gehört nun mal zu meiner Arbeitsweise. Bonfort ist - genauso wie der General mit nur einem einzigen gezielten Schuss ins Herz ermordet worden, und das aus großer Entfernung. Die Parallelität ist interessant.«
»Aber zeitlich liegen die beiden Fälle fast dreißig Jahre auseinander!«
»Inhaltlich aber nicht.« »Wieso das?«
»Beide waren in den Kolonien, beide haben dort Grausamkeiten begangen.«
»War Bonfort nicht ein braver Professor in Lyon?«
»Als überzeugter Kommunist hat er während des Indochina-Krieges ein nordvietnamesisches Todeslager geleitet. Das hatte die Presse kurz vor seinem Tod ausgegraben.«
»Du lieber Gott. Und der General?«, fragte Claude verwundert.
»Er gehörte in Algerien zu den staatlich entsandten Folterern. Und er hat seinen Auftrag ohne Hemmung lustvoll erfüllt. Unter anderem hat er die algerische Freundin von Gilles Maurel gefoltert und umgebracht. Wegen Maurel bin ich nach
Martinique gefahren, weil es den Hinweis gab, er könnte der Mörder des Generals sein. Das war aber wohl kaum möglich: Der Kerl war über neunzig und als ich ankam, gerade gestorben.«
Claude dachte an das Zeitungsfoto, auf dem Jacques von der wirklich hübschen und jugendlichen Witwe Amadee einen Abschiedskuss erhält. Doch er unterdrückte ein Schmunzeln.
Jacques, der ihn die ganze Zeit ansah, ahnte so etwas, seufzte und sagte: »Hör auf!«
»Aber sie ist wirklich cool!«
Cool, dachte Jacques, wenn du wüsstest, wie weich ihre Haut ist, wie wunderbar ihre Umarmung. Vielleicht entspannte ihn der Wein, vielleicht war es die Sehnsucht nach Amadee, er spürte jedenfalls, wie seine Gedanken seinen Körper beeinflussten, erhitzten.
Claude versuchte den Moment der Irritation zu überspielen, indem er wieder auf Bonfort zurückkam.
»Und wo siehst du nun die Gemeinsamkeit zwischen dem
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