Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
antwortete, mit dem Zeigefinger auf Schmieds Mappe klopfend:
»Das weißt du schon seit einiger Zeit ganz genau. Du hast mir den Jungen auf den Hals geschickt, diese Angaben stammen von dir.«
Dann schloß er die Mappe wieder. Bärlach
schaute auf den Schreibtisch, wo noch sein Revolver lag, mit dem Schaft gegen ihn gekehrt, er brauchte nur die Hand auszustrecken; dann sagte er:
»Ich höre nie auf, dich zu verfolgen. Einmal wird es mir gelingen, deine Verbrechen zu beweisen.«
»Du mußt dich beeilen, Bärlach«, antwortete der andere. »Du has t nicht mehr viel Zeit. Die Ärzte geben dir noch ein Jahr, wenn du dich jetzt operieren läßt.«
»Du hast recht«, sagte der Alte. »Noch ein Jahr.
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Und ich kann mich jetzt nicht operieren lassen, ich muß mich stellen. Meine letzte Gelegenheit.«
»Die letzte«, bestätigte der andere, und dann schwiegen sie wieder, endlos, saßen da und schwiegen.
»Über vierzig Jahre sind es her«, begann der andere von neuem zu reden, »daß wir uns m irgendeiner verfallenen Judenschenke am Bosporus zum erstenmal getroffen haben. Ein unförmiges gelbes Stück Schweizerkäse von einem Mond hing bei dieser Begegnung damals zwischen den
Wolken und schien durch die verfaulten Balken auf unsere Köpfe, das ist mir noch in guter Erinnerung.
Du, Bärlach, warst damals ein junger
Polizeifachmann aus der Schweiz in türkischen Diensten, herbestellt, um etwas zu reformieren, und ich — nun ich war ein herumgetriebener
Abenteurer wie jetzt noch, gierig, dieses mein einmaliges Leben und diesen ebenso einmaligen, rätselhaften Planeten kennenzulernen. Wir liebten uns auf den ersten Blick, wie wir einander zwischen Juden im Kaftan und schmutzigen
Griechen gegenübersaßen. Doch wie nun die verteufelten Schnäpse, die wir damals tranken, diese vergorenen Säfte aus weiß was für Datteln und diese feurigen Meere aus fremden Kornfeldern um Odessa herum, die wir in unsere Kehlen stürzten, in uns mächtig wurden, daß unsere Augen wie glühende Kohlen durch die türkische Nacht funkelten, wurde unser Gespräch
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hitzig. Oh, ich liebe es, an diese Stunde zu denken, die dein Leben und das meine bestimmte!«
Er lachte.
Der Alte saß da und schaute schweigend zu ihm hinüber.
»Ein Jahr hast du noch zu leben«, fuhr der andere fort, »und vierzig Jahre hast du mir wacker nachgespürt. Das ist die Rechnung. Was disku -
tierten wir denn damals, Bärlach, im Moder jener Schenke in der Vorstadt Tophane, eingehüllt in den Qualm türkischer Zigaretten? Deine These war, daß die menschliche Unvollkommenheit, die Tatsache, daß wir die Handlungsweise anderer nie mit Sicherheit vorauszusagen, und daß wir ferner den Zufall, der in alles hineinspielt, nicht in unsere Überlegung einzubauen vermögen, der Grund sei, der die meisten Verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse. Ein Verbrechen zu begehen nann-test du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren. Ich dagegen stellte die These auf, mehr um zu wi-dersprechen als überzeugt, daß gerade die Ver-worrenheit der menschlichen Beziehungen es möglich mache, Verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten, daß aus diesem Grunde die überaus größte Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet, sondern auch ungeahnt seien, also nur im Verborgenen geschehen. Und wie wir nun weiterstritten, von den höllischen Bränden der 8l
Schnäpse, die uns der Judenwirt einschenkte, und mehr noch, von unserer Jugend verführt, da haben wir im Übermut eine Wette geschlossen, eben da der Mond hinter dem nahen Kleinasien versank, eine Wette, die wir trotzig in den Himmel hinein hängten, wie wir etwa einen fürchterlichen Witz nicht zu unterdrücken vermögen, auch wenn er eine Gotteslästerung ist, nur weil uns die Pointe reizt, als eine teuflische Versuchung des Geistes durch den Geist.«
»Du hast ganz recht«, sagte der Alte ruhig, »wir haben diese Wette damals miteinander geschlossen.«
»Du dachtest nicht, daß ich sie einhalten würde«, lachte der andere, »wie wir am ändern Morgen mit schwerem Kopf in der öden Schenke erwachten, du auf einer morschen Bank und ich unter einem noch von Schnaps feuchten Tisch.«
»Ich dachte nicht«, antwortete Bärlach, »daß diese Wette einzuhalten einem Menschen möglich wäre.«
Sie schwiegen.
»Führe uns nicht in Versuchung«, begann der andere von neuem. »Deine Biederkeit kam nie in Gefahr, versucht zu werden, doch deine Biederkeit versuchte
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