Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
Feitelbach ist ein armer Jude.
Er wird es nie verstehen, ein Geschäft zu machen.«
Damit setzte sich das mächtige Gespenst an des Alten Bett. Er griff in seinen Kaftan und holte eine große, staubige Flasche und zwei kleine Gläser hervor. »Wodka«, meinte der Riese. »Wir wollen zusammen trinken, Kommissar, wir haben immer zusammen getrunken.«
Bärlach schnupperte am Glas, er liebte bisweilen den Schnaps, doch hatte er kein gutes Gewissen, er dachte sich, daß Dr. Hungertobel große Augen ma -
chen würde, wenn er dies alles sähe: den Schnaps, den Juden und die Mitternacht, in der man doch schon längst schlafen sollte. Ein schöner Kranker, würde Hungertobel wettern und einen Spektakel veranstalten, er kannte ihn doch.
»Wo kommt denn der Wodka her?« fragte er, als er den ersten Schluck genommen hatte. »Der ist aber gut.«
»Aus Rußland«, lachte Gulliver. »Den habe ich von den Sowjetern.«
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»Bist du denn wieder in Rußland gewesen?«
»Mein Geschäft, Kommissar.«
»Kommissär«, verbesserte ihn Bärlach. »Im Bernischen gibt's nur Kommissäre. Hast du denn deinen scheußlichen Kaftan auch im
Sowjetparadies nicht ausgezogen?«
»Ich bin ein Jude und trage meinen Kaftan, das habe ich geschworen. Ich liebe das
Nationalkostüm meines armen Volkes«, antwortete Gulliver,
»Gib mir doch noch einen Wodka«, sagte Bärlach.
Der Jude füllte die beiden Gläser.
»Hoffentlich war die Fassadenkletterei nicht zu schwierig«, meinte Bärlach stirnrunzelnd. »Das ist wieder etwas Gesetzwidriges, was du da heute nacht angestellt hast.«
Gulliver dürfe nicht gesehen werden, gab der Jude knapp zur Antwort.
»Um acht ist es doch schon längst dunkel, und man hätte dich hier im Salem sicher zu mir herein-gelassen. Es ist ja keine Polizei da.«
»Dann kann ich auch ebensogut fassadenklettern«, entgegnete der Riese und lachte. »Es war ein Kinderspiel, Kommissar. Den Kännel hinauf und einen Mauervorsprung entlang.«
»Es ist doch gut, daß ich pensioniert werde.«
Bärlach schüttelte den Kopf. »Dann habe ich so etwas wie dich nicht mehr auf dem Gewissen. Ich hätte dich schon längst hinter Schloß und Riegel 185
stecken sollen und dabei einen Fang getan, der mir in ganz Europa hoch angerechnet worden wäre.«
»Du wirst es nicht tun, weil du weißt, wofür ich kämpfe«, antwortete der Jude unbeweglich.
»Du könntest dir doch wirklich einmal so etwas wie Papiere verschaffen«, schlug der Alte vor. »Ich habe zwar nicht viel übrig für dergleichen; aber irgendeine Ordnung muß in Gottes Namen sein.«
»Ich bin gestorben«, sagte der Jude. »Die Nazis haben mich erschossen.«
Bärlach schwieg. Er wußte, worauf der Riese anspielte. Das Licht der Lampe umgab die Männer mit einem ruhigen Kreis. Irgendwoher schlug es Mitternacht. Der Jude schenkte Wodka ein. Seine Augen blitzten in einer sonderbaren Heiterkeit höherer Art.
»Als unsere Freunde von der SS mich an einem schönen Maientag des Jahres fünfundvierzig bei angenehmster Witterung — an eine kleine weiße Wolke erinnere ich mich noch gut — in
irgendeiner hundsgemeinen Kalkgrube inmitten fünfzig erschossener Männer meines armen Volkes aus Versehen liegen ließen und als ich mich nach Stunden blutüberströmt unter den Flieder ver-kriechen konnte, der nicht weit davon blühte, so daß mich das Kommando, welches das Ganze
zuschaufelte, übersah, habe ich geschworen, von nun an immer diese armselige Existenz eines geschändeten und geprügelten Stück Viehs zu füh-186
ren, wenn es schon Gott gefalle, daß wir in diesem Jahrhundert oft wie die Tiere zu leben haben. Von da an habe ich nur noch in der Dunkelheit der Gräber gelebt und mich in Kellern und ähnlichem aufgehalten, nur die Nacht hat mein Antlitz gesehen und nur die Sterne und der Mond diesen armseligen und tausendmal zerfetzten Kaftan beschienen. Das ist recht so. Die Deutschen haben mich getötet, und ich habe bei meiner ehemaligen arischen Frau — sie ist jetzt tot, und das ist gut für dieses Weib — meinen Totenschein gesehen, den sie per Reichspost bekam, er war gründlich ausgeführt und machte den guten Schulen alle Ehre, in denen man dieses Volk zur Zivilisation erzieht. Tot ist tot, das gilt für Jude und Christ, verzeih die Reihenfolge, Kommissar. Für einen Toten gibt es keine Papiere, das mußt du zugeben, und keine Grenzen; er kommt in jedes Land, wo es noch verfolgte und gemarterte Juden gibt. Prosit, Kommissar, ich trinke auf unsere
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