Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
liegt bei Danzig, Die wenigen Häftlinge, welche die Torturen überstanden, wurden von der SS
niedergemacht, als die Russen kamen, die dafür an den Wärtern die Gerechtigkeit vollzogen und sie aufknüpften: Nehle jedoch befand sich nicht unter den Galgenvögeln, Kommissar. Er mußte vorher das Lager verlassen haben.«
»Der wurde doch gesucht«, sagte Bärlach.
Der Jude lachte. »Wer wurde damals nicht gesucht, Bärlach! Das ganze deutsche Volk war zu einer kriminellen Affäre geworden. Doch an Nehle hätte sich kein Mensch mehr erinnert, weil sich kein Mensch mehr hätte erinnern können, seine Verbrechen wären unbekannt geblieben, wenn nicht bei Kriegsende im >Life< dieses Bild erschienen wäre, das du kennst, das Bild einer kunstgerechten und meisterhaften Operation mit dem kleinen Schönheitsfehler, daß sie ohne Narkose durchgeführt wurde. Die Menschheit war pflichtgemäß empört, und so fing man denn an zu suchen. Sonst hätte sich Nehle unbehelligt ins Privatleben zurückziehen können, um sich in einen harmlosen Landarzt zu verwandeln oder als Bade-doktor irgendein kostspieliges Sanatorium zu leiten.«
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»Wie kam denn das >Life< zu diesem Bild?«
fragte der Alte ahnungslos.
»Das Einfachste in der Welt«, antwortete der Riese gelassen. »Ich habe es ihm gegeben!«
Bärlach schnellte mit dem Oberkörper hoch und starrte dem Juden überrascht ins Gesicht. Gulliver wisse doch mehr als die Polizei, dachte er bestürzt.
Das abenteuerliche Leben, das dieser zerfetzte Riese führte, dem unzählige Juden ihre Rettung verdankten, spielte sich in Gebieten ab, wo die Fäden der Verbrechen und der ungeheuerlichsten Laster zusammenliefen. Ein Richter aus eigenen Gesetzen saß vor Bärlach, der nach eigener Willkür richtete, freisprach und verdammte, unabhängig von den Zivilgesetzbüchern und dem Strafvollzug der glorreichen Vaterländer dieser Erde.
»Trinken wir Wodka«, sagte der Jude. »So ein Schnaps tut immer gut. An den muß man sich halten, sonst verliert man auf diesem gottverlassenen Planeten noch jede süße Illusion.«
Und er füllte die Gläser und schrie: »Es lebe der Mensch!« Dann stürzte er das Glas hinunter und sagte: »Aber wie? Das ist oft schwierig.«
Er solle nicht so schreien, sagte der Kommissär, sonst komme die Nachtschwester.
»Die Christenheit, die Christenheit«, sagte der Jude. »Sie hat gute Krankenschwestern hervor-gebracht und ebenso tüchtige Mörder.«
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Einen Moment dachte der Alte, es sei doch jetzt genug mit dem Wodka, aber schließlich trank er auch.
Das Zimmer drehte sich einen Moment, Gulliver erinnerte ihn an eine riesige Fledermaus, dann blieb das Zimmer wieder ruhig, wenn auch ein wenig schräg. Aber das mußte man wohl in Kauf nehmen.
»Du hast Nehle gekannt«, sagte Bärlach.
Der Riese antwortete, er habe gelegentlich mit ihm zu tun gehabt, und beschäftigte sich weiter mit seinem Wodka. Dann fing er an zu erzählen, aber nun nicht mehr mit der kalten, klaren Stimme von vorher, sondern in einem merkwürdig singenden Ton, der sich verstärkte, wenn die Ironie und der Spott mitschwangen, manchmal aber auch leise wurde, gedämpft, so daß Bärlach begriff, daß alles, auch das Wilde und Höhnische nur ein Ausdruck einer unermeßlichen Trauer war über den
unbegreiflichen Sündenfall einer einst schönen, von Gott erschaffenen Welt. So saß nun in der Mitternacht dieser riesenhafte Ahasver bei ihm, dem alten Kommissär, der da todkrank in seinem Bette lag und den Worten des jammervollen Mannes lauschte, den die Ge schichte unserer Epoche zu einem düsteren, furchterregenden Todesengel geschaffen hatte.
»Es war im Dezember vierundvierzig«, berichtete Gulliver in seinem Singsang, halb in Wodka 193
versponnen, auf dessen Meeren sich sein Schmerz wie eine dunkle, ölige Fläche ausbreitete, »und dann noch im Januar des folgenden Jahres, als die glasige Sonne der Hoffnung eben fern an den Horizonten über Stalingrad und Afrika emporstieg.
Und doch waren diese Monate verflucht,
Kommissar, und ich habe zum erstenmal bei allen unseren ehrwürdigen Talmudisten und ihren grauen Bärten geschworen, daß ich sie nicht überlebe. Daß dies doch geschah, lag an Nehle, des sen Leben zu erfahren du so begierig bist. Von diesem Jünger der Medizin darf ich dir melden, daß er mir das Leben rettete, indem er mich in die unterste Hölle tauchte und an den Haaren wieder emporriß, eine Methode, der meines Wis sens nur einer widerstand, ich nämlich, der ich
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