Der Richter und sein Henker (German Edition)
Gastmanns.
Erster Schluß (Kapitel 19): Tschanz hat den Kampf überlebt, er ist nur leicht verwundet. Der Leser, der in Tschanz den Mörder Schmieds vermutete, sieht sich getäuscht. Die Kugel kam aus der Waffe, die einer der von Tschanz getöteten Diener Gastmanns in der Hand hielt. Lutz ist mit dem Ergebnis der Untersuchung zufrieden: Schmied hat offenbar seinen Ehrgeiz, Gastmann zu überführen, mit dem Leben bezahlt. Tschanz kann eine Beförderung erwarten, Bärlach hat seine Wette gewonnen. Zwar hat er sich offenbar getäuscht, als er Gastmann nicht für den Mörder Schmieds hielt. Und sein Versprechen, diesen für einen Mord hinzurichten, den er nicht begangen hat, ging scheinbar ins Leere. Dennoch ist Gastmann zur Strecke gebracht worden. Versöhnt sieht Bärlach in das Gesicht seines toten Gegners. Der Fall scheint abgeschlossen.
Zweiter Schluß (Kapitel 20): Ein Überraschungseffekt, der die vorangegangene Lösung als Fehlschluß denunziert, gehört ebenso zum Instrumentarium des Detektivromans wie zu den Mitteln der Dürrenmattschen Komödiendramaturgie. Er wird hier wahrhaft theatralisch verwirklicht. Bärlach hat Tschanz zu einer Feier von dessen Beförderung eingeladen. Bei einem monströsen Mahl, das in Wirklichkeit seine Überwindung Gastmanns auf die gewonnene Wette besiegelt, eröffnete er ihm, daß er von vornherein wußte, daß Tschanz Schmied ermordet hat. Der Leser sieht damit seinen Verdacht schließlich doch bestätigt. Auch das weitere Vorgehen Bärlachs war nicht dilettantisch, sondern planmäßig. Zu Hilfe kam ihm auf Schritt und Tritt der Zufall und Tschanz’ eigene Fehlplanung. Bärlach hat den geringeren Verbrecher skrupellos benutzt, um den größeren zu richten. Mehr noch: er hat Gastmann gewarnt, um den tödlichen Endkampf zu gewährleisten. Mit einer Verhaftung wäre ihm nicht gedient gewesen. Noch einmal kommt Spannung auf. Tschanz möchte den Kommissär töten, aber dieser hält einen Bluff bereit: Lutz weiß angeblich, daß Tschanz bei ihm ist. Bärlach verspricht Tschanz, ihn nicht zu verraten. Dieser geht in die Nacht hinaus.
Nachspiel (Kapitel 21): Auch mit dem zweiten Schluß endet der Roman noch nicht. Bärlach bleibt zurück, durch die schwere Mahlzeit dem Tode nahe. Am Morgen des folgenden Dienstag (8. 11. 1948) erscheint Lutz mit der Nachricht, daß Tschanz tödlich verunglückt ist. Wiederum hat der Zufall – sicherlich im Verein mit der selbstmörderischen Verzweiflung Tschanz’ – das letzte Wort gesprochen. Wie in den Komödienschlüssen Dürrenmatts, so steht auch hier ein Theatercoup am Ende, der alle handlungstechnisch lockeren Fäden zufriedenstellend verknüpft. Der Gerechtigkeit ist Genüge getan, Tschanz und Bärlach bleibt eine weitere Untersuchung erspart, die unweigerlich zur Bloßstellung der Skrupellosigkeit des Kommissärs hätte führen müssen. Bärlach aber kann nicht mehr triumphieren. Er ist allein mit seinen Gewissensqualen und seiner Todesangst. Ihm steht die Operation bevor, die Gewißheit »Nur noch ein Jahr« läßt den kurz zuvor noch skrupellosen Richter wieder menschlich erscheinen. Nur an der Oberfläche wird im Roman einer heilen, gerechten Ordnung zum Sieg verholfen. Weder rechtfertigt der Zweck die zum Einsatz gebrachten Mittel, noch kann Bärlach am Ende als Vertreter einer höheren Gerechtigkeit vor sich selbst bestehen. Die Grundfrage des Textes nach dem Recht des einzelnen und einer für viele verpflichtenden Gerechtigkeit wird – gegen jede Konvention des Detektivromans – dem Leser zugespielt.
Eine Auswahl weiterer Aufsätze und Interpretationen sind in den Bänden Über Friedrich Dürrenmatt (detebe 20861, mit ausführlicher Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur), Herkules und Atlas. Lobreden und andere Versuche über Friedrich Dürrenmatt, herausgegeben von Daniel Keel (detebe 22534) sowie in Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes von Elisabeth Brock-Sulzer (detebe 21388) zu finden.
Daten zu Leben und Werk
1921
5. Januar: Geboren in Konolfingen bei Bern. Eltern: Reinhold Dürrenmatt,
protestantischer Pfarrer, und Ehefrau Hulda geb. Zimmermann.
1933
bis 1935 Sekundarschule im Nachbardorf Großhöchstetten.
1935
Umzug der Familie nach Bern; Freies Gymnasium, dann (bis zur Maturität) Humboldtianum.
1941
bis 1946 Studium der Philosophie und Literatur in Bern und Zürich. Studiert vor allem Kant, Aristoteles, Plato, Kierkegaard. Liest die griechischen Tragiker, Aristophanes, Shakespeare, später
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