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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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müde und schien von dem Gedanken, die ganze Nacht in einem Auto verbringen zu müssen, nicht sonderlich begeistert zu sein.
    »Können Sie’s trotzdem tun?«
    »Ich komme da doch gar nicht rein. Dazu muss man Kunde sein.«
    »Beobachten Sie den Eingang.«
    Crawford stöhnte und holte tief Luft. »Okay, ich kümmere mich darum.
    Vielleicht schicke ich einen meiner Jungs los.«
    »Danke. Ich melde mich morgen bei Ihnen, sobald ich in der Stadt bin.«
    Ray rief das Lagerhaus an, doch niemand ging dran. Nach fünf Minuten versuchte er es noch einmal. Er ließ es vierzehnmal klingeln, bis sich jemand meldete.
    »Chaney’s, Sicherheitsdienst, Murray am Apparat.«
    Ray erklärte dem Sicherheitsbeamten sehr höflich, wer er war und was er wollte. Er habe drei Lagerabteile gemietet und mache sich jetzt Sorgen, da jemand in seine Wohnung in der Stadt eingebrochen sei. Ob Mr. Murray 14
    B, 37 F und 18 R heute Nacht bitte besonders gut im Auge behalten könn-te? Kein Problem, erwiderte Mr. Murray, der sich anhörte, als würde er pausenlos in den Telefonhörer gähnen.
    Er sei nur ein bisschen nervös, erklärte Ray.
    »Kein Problem«, murmelte Mr. Murray.

    Erst nach einer Stunde und zwei Drinks hatte sich Rays Nervosität etwas gelegt. Er war Charlottesville keinen Meter näher gekommen. Am liebsten hätte er sich in den Mietwagen gesetzt und wäre die ganze Nacht durchge-fahren, aber dieser Impuls legte sich bald. Es war besser, schlafen zu gehen und am nächsten Morgen in ein Flugzeug zu steigen. Doch da an Schlaf nicht zu denken war, beschäftigte er sich wieder mit den Prozessakten.

    Der Richter hatte einmal gesagt, dass er nicht viel über Bebauungsrecht wisse, weil es in Mississippi nur wenige und in den sechs Verwaltungsbe-zirken des 25. Chancery District so gut wie gar keine Bebauungsvorschriften gebe. Trotzdem hatte ihn jemand überreden können, einen Fall in Columbus zu verhandeln, bei dem erbittert um eine Bebauungsvorschrift gestritten wurde. Der Prozess dauerte sechs Tage, und als er zu Ende war, gab es einen anonymen Telefonanruf. Jemand drohte, den Richter zu erschießen, was dieser in seinen Notizen vermerkt hatte.
    Solche Drohungen waren nichts Ungewöhnliches, doch jeder wusste, dass der Richter immer einen Revolver mit sich herumtrug. Und man er-zählte sich, dass Claudia ebenfalls ständig eine Waffe bei sich hatte. Die allgemeine Ansicht war, dass es besser sei, vom Richter als von seiner Gerichtsstenotypistin angeschossen zu werden.
    Über dem Fall, in dem es um die Bebauungsvorschriften ging, wäre Ray fast eingeschlafen. Aber beim nächsten fand er eine Unstimmigkeit, das schwarze Loch, nach dem er gesucht hatte, und war mit einem Mal wieder hellwach.
    Im Januar 1999 wurden dem Richter laut Steuererklärung 8.110 Dollar für einen Fall im 27. Chancery District ausgezahlt. Dieser District bestand aus zwei Countys an der Golfküste, einem Teil des Staates, für den der Richter nie viel übrig gehabt hatte. Ray konnte sich nicht vorstellen, dass sein Vater dort freiwillig einige Tage verbracht hatte.
    Noch um einiges merkwürdiger war die Tatsache, dass die Prozessakte dazu fehlte.
    Ray durchsuchte die beiden Kartons und fand nichts, was mit dem Fall an der Küste zu tun hatte. Mit wachsender Ungeduld durchwühlte er die übrigen achtunddreißig Kartons. Er vergaß den Einbruch in seiner Wohnung, er dachte nicht mehr an das Lagerhaus, und es war ihm egal, ob Mr.
    Murray wach oder überhaupt noch am Leben war. Und das Geld hätte er beinahe auch vergessen.
    Eine Prozessakte fehlte.

26
    Der US-Air-Flug startete um 6.40 Uhr morgens in Memphis, was bedeutete, dass Ray spätestens um fünf Uhr aus Clanton losfahren musste. Das wiederum bedeutete, dass er etwa drei Stunden Schlaf bekam, was für Maple Run jedoch normal war. Kaum war das Flugzeug in der Luft, nickte er das erste Mal weg. Auf dem Flughafen von Pittsburgh schlief er erneut ein, in dem kleinen Flugzeug nach Charlottesville ein drittes Mal. Nachdem er sich in seiner Wohnung umgesehen hatte, legte er sich aufs Sofa und wurde sofort vom Schlaf übermannt.
    Das Geld war nicht angerührt worden. In keines seiner Lagerabteile bei Chaney’s war eingebrochen worden. Er sperrte sich in 18 R ein, öffnete die fünf wasser- und feuerfesten Kartons und zählte dreiundfünfzig Gefrierbeu-tel.
    Ray Atlee saß zwischen drei Millionen Dollar auf dem Betonfußboden eines Lagerabteils und gestand sich endlich ein, wie wichtig das Geld für ihn geworden war.

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