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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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malt sie, baut verrückte Skulpturen und steht auf Esoterik…«
    Elke streifte ihn mit einem Seitenblick. »Davon hast du aber nicht viel geerbt, glaube ich.«
    »Tja. Damit wäre dann wohl auch gleich die Frage beantwortet, ob wir uns gut verstehen.«
    Sie trotteten nachdenklich voran.
    »Wir haben auch keinen Streit«, legte Max erklärend nach, »wir reden bloß aneinander vorbei. Wenn wir reden. Das passiert nicht so oft, dafür sorgt schon die Entfernung.«
    »Du könntest ja in San Francisco studieren.«
    »Das sagt mein Vater auch. Manchmal tut er sogar, als wäre er vor allem meinetwegen nach Kalifornien gewechselt! Geh nach Berkeley, Junge – Elite-Uni, studiere Business, Computertechnik, irgendwas, womit dir die Welt offen steht! Hamburgische Geschichte, schön und gut, das interessiert international doch keine Sau! »International« ist für meinen Vater das Prädikat schlechthin. Alles andere ist Provinz. Und Provinz zählt nicht!«
    »Aber du bist hier geblieben. Du scheinst zu wissen, was du willst.«
    »Das hab ich heute schon mal gehört. Von deinem Vater.«
    »Der kann ja auch nicht immer daneben liegen.«
    »Ich weiß nur, was ich nicht will! Kalifornien kann mir gestohlen bleiben. Und lebenslänglich als Global Player wie eine Flipperkugel um den Globus zu schießen, ist ganz sicher nicht mein Ding. Wer das provinziell findet – bitte.«
    Elke nahm den Ausbruch schweigend zur Kenntnis. Aber dann hörte Max, wie sie neben ihm leise eine Melodie vor sich hin pfiff: »Hamburg, meine Perle«, Lotto King Karls Hymne an die Hansestadt. Auch ein Kommentar, dachte Max und nestelte sich die Kapuze aus dem Parka, um sich gegen den unangenehm kalten Nieselregen zu wappnen, der jetzt wieder einsetzte – staubfein wie durch ein engmaschiges Sieb gerührt.
    Die Rikscha war zu breit für den schmalen Fußweg. Die reichste Straße Hamburgs, aber kein Fahrradweg, fluchte Oleg in sich hinein, als er das Gelbe Ungetüm vom Bürgersteig auf die Elbchaussee manö­vrierte. Könnte er sich hier ein Haus leisten, wäre ihm dieser Mangel wahrscheinlich auch egal. Wer in der Garage die freie Auswahl zwischen Porsche und Ferrari hat, fährt eher selten Fahrrad. Zum Glück gab es am Heck der Rikscha zwei batteriebetriebene Cat Eyes und ein Flackerlicht, das nachfolgende Autofahrer vor dem rollenden Verkehrshindernis warnte. Dafür stand es mit der Sicht nach vorn nicht zum Besten. Sie hatten zwar einen lichtstarken LED-Strahler am Lenker installiert, aber der dichte Sprühregen schluckte den Leuchtkegel wie ein dicker Vorhang. Zum Glück herrschte nur schwacher Verkehr. Während sich Oleg in die Pedale stemmte, triefte ihm das Wasser aus den Haaren, lief über die Stirn und in die Augen, was die Sicht noch verschlechterte. Angestrengt blinzelte Oleg in die trübe Suppe. Rechts erkannte er den langen Zaun des Hirschparks. Noch ein guter Kilometer bis zum »Café Jacob«, schätzte Oleg. Und danach ginge es bis Teufelsbrück nur noch bergab – sehr angenehm.
    Das letzte Auto hatte ihn vor ein, zwei Minuten überholt. Eingehüllt in den monotonen Geräuschkokon aus Regen und der über nassen Asphalt schnurrenden Rikschareifen, nur einen funzeligen Lichtkegel getrennt von undurchdringlicher Finsternis, fühlte sich Oleg seltsam losgelöst von Raum und Zeit – wie auf einem Ritt durchs All. Bis er den jäh aufheulenden Motor registrierte und begriff, dass dieses Geräusch nicht ein überholendes Fahrzeug verursachte, sondern rechts vor ihm heranjagte, war es fast zu spät für eine Reaktion. Aus der Seitenstraße schoss röhrend ein großes Etwas auf Oleg zu. Instinktiv entschied er sich nicht für die Bremsen, sondern für ein Spaßmanöver, das Max und er manchmal zur Passantenbelustigung praktizierten, wenn auch niemals bei einem Tempo wie jetzt: Er stellte im Rollen das Vorderrad quer zur Fahrtrichtung – die Rikscha bockte auf wie ein störrischer Rodeogaul, überschlug sich jedoch dank des schweren Hinterteils mit der Fahrgastbank nicht, sondern stand abrupt wie gegen die Wand geknallt. Oleg riss es nach vorn aus dem Sattel, wobei sich Lenker und Handbremsengriff schmerzhaft in seine Weichteile bohrten. Trotzdem erkannte er noch, wie ein dunkler Wagen ohne Licht quer vor ihm vorbeizischte, auf den gegenüberliegenden Fußweg rumpelte, im letzten Moment vor der Kollision mit dem Gartenzaun die Kurve bekam und in Richtung Nienstedten davon rauschte.
    »Scheiße…« Oleg schob sich stöhnend zurück in den Sattel,

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