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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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scheinbar unberührten Bett stand ein Stuhl, und darüber hing sauber die Kleidung, die er am Vortag getragen hatte. Zuoberst lag seine Brieftasche, daneben das Bund mit dem Autoschlüssel. Geld und Papiere waren unangetastet, nur der Schlüssel zum Penthouse fehlte. Pieter steckte Brieftasche und Schlüssel ein und stopfte die Klamotten eilig in eine Plastiktüte.
    Dann nahm er sich noch einmal den Flur vor, diesmal mit voller Festbeleuchtung, indem er extra eine Standlampe aus dem Wohnzimmer heranholte und deren Strahler auf den Boden ausrichtete. Vorsichtig ging er auf die Knie und sah genau hin: Es gab tatsächlich ein paar größere Flecken auf dem Teppichflor. Allerdings waren die Flecken etwas heller und nicht etwa dunkler als der übrige Teppich. Als hätte man etwas weggescheuert. Blut? Theaterschminke?
    Nastja war nicht hier, weder tot noch lebendig. Die Anspannung wich trotzdem nicht von Pieter. Er müsste abwarten, was passieren würde. Die passive Opferrolle ging ihm völlig gegen den Strich, aber ihm fiel einfach nichts mehr ein.
    Pieter schloss das Penthouse hinter sich ab und fuhr hinunter in die Garage. Der Porsche parkte ein paar Straßen weiter, er würde den BMW nehmen. Er erreichte die zum Glück noch immer menschenleere Tiefgarage, warf die Plastiktüte mit den Klamotten in den Kofferraum des Sportwagens, stieg ein und stutzte: Der Sitz war zu weit hinten, die Lehne zu steil und der Rückspiegel falsch eingestellt. Jemand war mit seinem Auto gefahren, und der Sitzposition nach war dieser Jemand locker über zwei Meter groß. In Pieter entflammte sofort wieder helle Panik.
    Er rückte den Sitz zurecht und rauschte aus der Tiefgarage, so schnell es ging. Nervös peilte er in den Rückspiegel, bis er sich selbst sagte, dass ihm bestimmt niemand folgte. Was auch passiert war – es war gestern Nacht passiert, nicht jetzt. Das Brennen in der Magengrube ließ dennoch nicht nach. Ich hab’ den ganzen Tag nichts gegessen, fiel ihm plötzlich ein, bloß gekotzt. Durst hatte er auch. Vor einer Eckkneipe lenkte er den BMW in eine Parklücke, nahm sich ein billiges Basecap aus dem Handschuhfach, setzte es auf und zog es tief in die Stirn.
    In dem vergilbten Schuppen löste eine gelangweilte Tresenfee Kreuzworträtsel, während vor ihr zwei schweigende Thekenbotaniker in stoischer Gelassenheit Bierblumen studierten. Dazu schmetterte Wolfgang Petry »Hölle, Hölle, Hölle«. Pieter bestellte ein Bier und eine Frikadelle und verzog sich an einen einsamen Ecktisch. Noch bevor seine Bestellung ausgeführt wurde, betrat ein übermüdeter Zeitungsverkäufer das Lokal, blitzte bei den stummen Trinkern ab und versuchte sein Glück bei dem Mann am Ecktisch. Mal sehen, was wieder über mich drin steht, dachte Pieter und ließ sich die Nachtausgabe der »Morgenpost« geben. Der Verkäufer rang sich ein müdes Lächeln ab und trollte sich.
    Pieter legte die Zeitung vor sich auf den Tisch und erstarrte angesichts der Titelseite: »Enthauptet – wer ist die Tote aus dem Nikolaifleet?« Darunter das Foto eines leblosen, seltsam teigig-konturlosen Mädchengesichts mit geschlossenen Augen. Nastja.
    Tot, tot, tot.
    Hölle, Hölle, Hölle.

8.
    »Sie sind direkt hierher gefahren? Sie hätten 110 anrufen und auf unsere Leute warten können!«
    »Und riskieren, dass uns diese Killertypen im zweiten Anlauf fertig machen? Wir wollten da weg – so schnell wie möglich! Wenn schon warten, dann lieber auf der Wache.«
    Kommissar Hesse unterdrückte mühsam ein Gähnen. »Sie wohnen doch in Eimsbüttel, Harder. Woher kennen Sie unsere Revierwache in Osdorf so gut, dass Sie sogar nachts in heller Panik hierher finden?«
    »Ich bin hier in der Gegend aufgewachsen.«
    Der Kripomann nahm das kommentarlos zur Kenntnis und starrte grübelnd die Wand an, als gäbe es da mehr zu sehen als trostlose Raufaser, gestrichen in Behördengelb. Elke hielt sich vor Erschöpfung nur noch mühsam auf dem unbequemen Plastikstuhl. Ihre Stirn zierte ein breites Pflaster. Max versuchte sie mit einem Augenzwinkern aufzumuntern, Elke lächelte schwach zurück. Immerhin.
    Er hatte Oleg nicht im Stich lassen wollen, aber allein in den Hirschpark zurückzukehren wäre ebenso gefährlich wie leichtsinnig gewesen. Außerdem war sich Max längst nicht sicher, ob sich der Freund überhaupt noch im Park befand. Vielleicht war Oleg schon nicht mehr dort gewesen, als Max ihn zwischen den Bäumen gesucht hatte. Von den Verfolgern hatten sie nichts mehr gesehen.

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