Der Rikschamann
geht’s deinem Ohr?«
»Passt schon«, wiegelte Max ab und zog seine Hand zurück, obwohl er gerne noch ein bisschen weiter mit der neckischen Haarsträhne gespielt hätte. Sie hat schöne Augen, das war ihm gleich an ihr aufgefallen. Klug. Wach. Das sollte er jetzt auch sein. Keine Zeit für Gefühlswirrwarr. Ab nach innen damit und Deckel drauf. Die Nummer beherrschte er perfekt. »Wenn die Wunde geheilt ist, schwirren die Fliegen ab!«
»Was ist das denn für ein Spruch?«
»Stand auf Hamids Desktop. Programmatische Ansage.«
Sie musterte ihn nachdenklich. »Warum bist du heute früh einfach abgehauen?«
»Dein Vater hat mich rausgeschmissen.«
»Mein Vater kann mich mal.«
»Sieht ganz danach aus.«
»Soll ich dich verpflastern?«
»Ich dusche erst mal. Was futtern muss ich auch.«
Elke sprang auf und strebte zum Kühlschrank. »Okay, du duscht und ich mach’ uns was zum…« Sie öffnete die Kühlschranktür und starrte entgeistert ins blanke Nichts. »Ohgott. Ist der immer so üppig bestückt?«
»Gibt auch bessere Zeiten«, grinste Max. »Dahinten in der Vorratskammer müssten noch ein paar Dosen herumliegen. Irgendwo hinter dem Altpapier, glaube ich.«
Er schnappte sich die Reisetasche mit den dreckigen Fleetklamotten und verschwand ins Badezimmer, während Elke kopfschüttelnd die winzige Abstellkammer neben der Küche inspizierte. Vollgerümpelt mit Pfandflaschen, Altpapier und jeder Menge anderem Zeug, das vielleicht, ganz vielleicht noch mal irgendwann irgendjemand für irgendetwas brauchen könnte. Neben einigen antiken Konserven mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum fanden sich wenigstens ein paar Packungen Nudeln und Reis. Nutella gab es nicht. In diesem Haushalt würde sogar ich abnehmen, dachte Elke.
Gar keine schlechte Idee.
Die Sichtweite betrug höchstens 20 Zentimeter. Mit Gegenverkehr war allerdings nicht zu rechnen. Dichter Heißwassernebel füllte die Duschkabine. Max reckte sich wohlig unter dem Brausebeschuss und fühlte, wie die feuchte Wärme die steife Muskulatur in der malträtierten Schulter allmählich lockerte und der Schmerz nachließ. Gestern der Riese mit dem Schlagring, heute Hamid mit dem Schraubenschlüssel, und immer auf dieselbe Stelle. Vielleicht sollte er nächstes Mal die andere Seite anbieten.
Was würde er Elena West erzählen, wenn sie anriefe? Es war ganz bestimmt ihr Cabrio in Hamids Werkstatt gewesen. Was daran gemacht worden war, wusste Max nun leider immer noch nicht, und von Hamid würde er es nicht erfahren. Über den blutigen Lappen wollte der auch nicht reden. Und das legte einen Zusammenhang zwischen dem Cabrio und dem Lappen nahe. Aber welchen?
Max drehte die Dusche ab, öffnete die Kabine und trat in einem Schwall Wasserdampf heraus wie ein Popstar auf die Bühne. Normalerweise hätte er dabei lauthals gesungen, aber nun trocknete er sich nur nachdenklich ab. Ich hätte gleich frische Klamotten mit ins Badezimmer nehmen sollen, dachte Max, jetzt liegt hier nur der dreckige Kram… Sein Blick fiel auf das schmutzige T-Shirt auf dem Fußboden. Es war nicht nur schmutzig, sondern auch blutverschmiert – wahrscheinlich von dem Kratzer am Ohr.
Blut auf Stoff. In seinem Gehirn rastete etwas ein.
Wenn der Lappen aus dem Auto käme… Ein Stückchen Sitzbezug vielleicht! Blut auf dem Sitzpolster, und Hamid hat den Bezug gewechselt! Das würde Elena West vielleicht nicht zugeben. Sie wusste ja möglicherweise auch nichts davon. Sie würde ihn am Telefon einfach abwimmeln, wenn er solchen Verdacht äußerte. Es wäre am Besten, den Wagen selbst zu überprüfen. Wo Piet West wohnte, ließ sich bestimmt aus dem Internet quetschen.
Max pflückte alle dreckigen Kleidungsstücke vom Fußboden und stopfte sie in die alte Waschmaschine – ein Sperrmüllteil, das Hamid ihnen für ein paar Euro wieder flott gemacht hatte. Dann zog er die verschmutzte Fleet-Kleidung aus der Reisetasche. Dabei fiel etwas auf die Fliesen: Olegs Handy. Max nahm es auf und drückte auf die Tasten. Keine Anzeige, Akku leer. Das Ladegerät müsste irgendwo in Olegs Zimmer liegen. Das hat Zeit, beschloss Max, legte das Handy aufs Waschbecken, stopfte die letzten Klamotten in die Waschmaschine und startete das Programm. Ein Blick in den Spiegel erbrachte die Erkenntnis, dass die Verletzung am Ohr nach dem Duschen gar nicht mehr besonders schlimm aussah – ein Pflaster war nicht nötig. Max knotete sich ein halbwegs sauberes Badelaken um die Hüften, trat in den kleinen Flur und
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