Der Rikschamann
sind total fixiert auf dich. Vor allem Hesse. Bronstein ist, schätze ich, gar nicht so übel.«
»Das lass’ mal nicht Elke hören.«
»Bin doch nicht lebensmüde.«
Sie wechselten ein schnelles, einvernehmliches Lächeln.
»Die sind völlig auf dem Holzweg«, kam der Professor schnell wieder zur Sache. »Das weiß ich natürlich. Aber man kann schnell in üblen Verdacht geraten – jedenfalls immer schneller, als man sich wieder reinwaschen kann!«
Wie hatte es Olegs Mutter formuliert? Es kommt nicht darauf an, was man selbst von einer Sache hält – es kommt nur darauf an, was die Polizei davon hält. Die Putzfrau aus dem Wolgaland und der promovierte Akademiker aus dem progressiven Westen. Zwei Antipoden der Gesellschaftsskala, aber dieselbe Erkenntnis. Muss wohl etwas dran sein, schätzte Max.
»Ich soll also schön den Ball flach halten und möglichst gar nichts tun?«
»Besser wär’s.«
»Wir hatten das heute Morgen schon so ähnlich.«
»Mancher begreift es bei der Wiederholung.«
»Ich denke darüber nach.«
Es klingelte vehement. Max öffnete die Wohnungstür, von unten gellte Marions Stimme: »Horst! Komm endlich!«
Straschitz trabte gehorsam an dem jungen Mann vorbei zur Treppe. Max folgte ihm einen Schritt hinaus ins Treppenhaus.
»Warum lässt du dich von der so herumkommandieren?«
»Sieht Marion nicht umwerfend aus?« schwärmte Straschitz, ohne sich umzudrehen. »Kleine Exkursion in die männliche Steinzeitmentalität.«
Damit verschwand er außer Sicht. Dafür entdeckte Max, dass die Tür zu Achim Strucks Wohnung einen Spalt weit offen stand. Er drehte sich schwungvoll in die Richtung des spionierenden Nachbarn – zu schwungvoll für sein Hüfttuch: Einmal mehr segelte das Laken zu Boden. Strucks Tür schloss sich krachend. Der bekommt heute Einiges geboten, schmunzelte Max, schnappte sich das Handtuch und zog sich ebenfalls in seine Wohnung zurück, wo ihm aus der Küche stechender Rauch entgegen waberte.
Reaktionsschnell riss er den qualmenden Topf, auf dessen Boden jedes Wasser längst verkocht war und sich die geschwärzten Teigwaren in der Hitze bogen, von der glühenden Herdplatte, setzte ihn in der Spüle ab und drehte den Kaltwasserhahn auf. Zischend gebar der Topf eine letzte Dampfwolke, dann herrschte Ruhe.
Nudeln gäbe es heute also auch nicht.
Zwanzig Minuten später saß Max, endlich vollständig angezogen mit frischer Jeans und Sweat-Shirt, kauend am Küchentisch vor seinem Notebook und klickte sich durch die Pete-West-Fanforen, sorgsam bestrebt, möglichst wenig Krümel der altbackenen Butterkekse, die er noch in der Speisekammer ausgegraben hatte, zwischen den Tasten zu verteilen. Unfassbar, wie viele Verehrer der Kerl besaß. Und wie viel Zeit und Energie diese Fans aufwandten, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen – immer nur über ein Thema: Ihr Idol, Pete West, der Pop-o-nator. Die Krönung des Fan-Daseins, sozusagen Lebenszweck schlechthin, schien es zu sein, sich irgendwo mit dem Star fotografieren zu lassen und die Trophäe umgehend ins Netz zu stellen. Max zappte sich durch die Bilderflut. Pete West und Fan vor der Bühne, auf der Bühne, hinter der Bühne. Vor dem roten Teppich, auf dem roten Teppich, neben dem roten Teppich. Flankiert von blonden Ludern vor dem Entree einer Promi-Disco, an deren Fassade in Flammenschrift das Wort »HELL« waberte. Am Rand einer Gala, eines Events, eines Urlaubs – und immer am Rand des Wahnsinns, der sich in den Gesichtern der Fotografierten widerspiegelte: Der Star stets mit ein und demselben Siegerlächeln, ebenso perfekt sitzend wie die gefönte Frisur – der Fan in atemloser Verehrung verharrend, meist in einer Haltung, als sei die Pampers am Auslaufen. Darunter Begleitkommentare wie:
»In echt ist Pete ein total netter Typ und ganz normal wie du und ich. Er hat mir sogar erzählt, dass seine Schuhe 2000 Euro gekostet haben.«
Oder: »Pete hat voll Humor. Genau als meine Freundin das Foto von uns geschossen hat, hat er mir meine Eiswaffel ins Gesicht gedrückt. Haben wir gelacht!«
Oder: »Er ist so spontan und hilfsbereit, ganz anders als alle anderen Männer! Er wollte mir ganz von sich aus ein Autogramm geben, und ich blöde Kuh hatte kein Papier dabei! Da hat Pete es mir auf die Haut geschrieben. Ich musste nur mein T-Shirt ausziehen.«
Alle Kekskrümel, die Max so akribisch vor dem Absturz in die Tastatur bewahrt hatte, prustete er nun vor Lachen gegen den Monitor. So viel geballter Schwachsinn!
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