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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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die letzte, unterste Schublade gerade entnervt zustoßen, als ihm ein Stück Plastik auffiel, das zwischen einem Stapel Druckerpapier hervorlugte. Irgendwie unordentlich. Nicht normal – jedenfalls nicht in Hamids Reich. Max zog das Stück heraus. Eine Klarsichthülle, DIN A4. Darin ein Stück alter Lappen, ölverschmiert und mit exakten Schnittkanten, aber unregelmäßiger Form – als hätte man es eilig aus einem größeren Stück herausgetrennt. Warum bewahrte Hamid einen alten, dreckigen Lappen in seinem sauberen Schreibtisch auf? Ein Lappen in der Werkstatt wäre nicht weiter auffällig, aber hier? In einer Klarsichthülle? Max nahm das Stück Stoff mit spitzen Fingern aus der Folie heraus. Öl oder andere Schmierstoffe hätten den Lappen weich und geschmeidig gemacht, aber das Stoffstück fühlte sich rau an und etwas steif. Es roch merkwürdig. Nicht nach Öl oder Benzin.
    Süßlich.
    Getrocknetes Blut.
    Geschockt und angeekelt ließ Max den Lappen wieder in die Plastikhülle gleiten. Er brauchte ein paar Sekunden, um sein Gehirn wieder zu logischen Denkleistungen zu zwingen. Ein Putzlappen war das nicht. Der Stoff ähnelte Teppich, war andererseits aber zu dünn für einen Bodenbelag. Und das Blut hatte das Gewebe vollständig durchtränkt. Da man es aus einem größeren Stück herausgetrennt hatte, ließ sich leicht hochrechnen, dass da jemand eine erhebliche Menge Blut verloren hatte… Max kämpfte eine aufsteigende Welle Übelkeit nieder. Betrachte es streng akademisch, beschwor er sich. Rein logisch. Denksportler kotzen nicht. Es ist nur ein Puzzleteil. Ein missing link. Ein Indiz. Genau deswegen bewahrte Hamid es wahrscheinlich auf. Und genau deswegen nahm Max es jetzt an sich, ohne zu wissen, was er damit eigentlich anstellen sollte. Er schloss alle Schubladen, fuhr den PC herunter und trat durch den in der Trennwand ausgesparten Durchgang zurück in die Werkstatt.
    Den Schlag sah er kaum kommen. Erst im allerletzten Moment registrierte Max eine jähe Bewegung und versuchte eine ausweichende Drehung. Etwas streifte hart sein linkes Ohr und die Schulter, erzeugte augenblicklich lodernden Schmerz und lähmenden Schwindel. Die Plastikhülle mit dem Blutlappen entfiel ihm, er geriet ins Taumeln. Fallen lassen! schrie sein Körper, während sein Gehirn adrenalingeschwängert zur Attacke blies, unterstützt vom einzig klaren Gedanken: Den zweiten Schlag überlebst du nicht! Mit letzter Kraft warf er sich in Richtung des Angriffs, bekam den überrumpelten Gegner zu fassen und riss ihn mit sich. Der Aufprall auf dem harten Betonboden raubte Max fast den letzten Atem, aber ein Stöhnen signalisierte, dass auch der Schläger litt – was Max ermutigte, weiter den Clinch zu suchen. Verbissen ringend rollten sie durch die halbdunkle Werkstatt, bis sie gegen einen Montagewagen krachten und ein eiserner Regen aus Ringschlüsseln, Radmuttern und Kleinteilen auf die Kämpfenden niederprasselte.
    »Max? Hör auf…«
    Max stieß sich vom Kontrahenten ab und rappelte sich mühsam hoch. Der Gegner kam wesentlich rascher auf die Beine. Sein kahler Schädel glänzte schweißnass, doch er bewegte sich schnell und geschmeidig, als er zum nächsten Lichtschalter trat und die Neonröhren an der Decke aufflackern ließ.
    »Hamid?« Allmählich ließ bei Max der Schwindel etwas nach und er sah wieder klarer. Vor dem Durchgang zum Büro lag ein massiver Ringschlüssel auf dem Boden. Kaliber Lkw-Radmutter. Instinktiv betastete Max sein lädiertes Ohr und bewegte versuchsweise die Schulter. Fühlte sich etwas taub an, ging aber. Halbwegs. »Du hättest mich beinahe gekillt, Mann!«
    »Das lässt sich nachholen.« In Hamids schwarzen Augen stand Eiseskälte, während er sich aus einer Reihe nach Größe sortierter Hammer ein handliches Exemplar griff, ohne hinzusehen. Ein Triumph der Ordnung.
    Max schnappte sich postwendend eine Rohrzange vom Montagewagen. »Was soll das, Hamid?«
    »Das frage ich dich. Du bist hier eingebrochen!«
    »Du warst nicht da. Ich wollte dich nur etwas fragen…«
    Hamid entdeckte die Plastikhülle mit dem Blutlappen auf dem Fußboden. Seine Hand krampfte sich fester um den Hammerstiel. »Frag lieber nicht. Ich will dich nicht töten, Max. Aber wenn’s sein muss, tue ich es!«
    »Weil es nicht dein erster Mord wäre?«
    Der Hammer flog haarscharf an Max’ Gesicht vorbei, bevor er auch nur mit dem Kopf wackeln konnte. Während das Werkzeug hinter ihm scheppernd in einem Regal landete, langte Hamid

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