Der Ring
Ein Jahr davon würde es jedem antun. Und zehn Jahre …“
„Es tut mir leid, das so zu hören.“ Jeff fragte sich, ob Paxton gewalttätig werden konnte. Er selbst war in der Lage, dieses Wrack in zwei Teile zu zerbrechen – oder er wäre vor dem Ring dazu in der Lage gewesen. Jetzt hatte er Glück, wenn er sich gegen halbwüchsige Strolche verteidigen konnte.
„Jaja, jetzt spürst du’s, was, Kumpel? Wie jeder andere. Diesen Drang, dem blöden alten Tölpel eine in die Schnauze zu hauen. In seine große Schnauze, wo die Wahrheit rauskommt. Kann’s dir nicht verdenken. Hab’ mich auch so gefühlt. Nur, jetzt bin ich erzogen. Glaube mir, ich weiß .“
„Ich fürchte, ich weiß nichts, Dave“, sagte Jeff – wiederum von der Direktheit des alten Mannes peinlich berührt. „Du hast deine Zeit abgedient. Du findest jetzt wohl keinen Lebensunterhalt? Du mußt betteln?“
„Lebensunterhalt – ha! Ich hab’ schon einen Lebensunterhalt, ‘ne Pension für ehrliche Arbeit. Ehrlich – hörst du? Mein ganzes Leben ehrlich, nachdem ich den Ring angesteckt habe, nach einem Leben voller … Ich konnte gar nichts anderes sein als ehrlich. Darum zählt das eben nicht. Zuerst habe ich immer mich gefragt, dann den Ring. Und nur die Ring-Antworten sind mir heute geblieben. Nicht meine Antworten! Ich kann nicht lügen und nicht betrügen. Kann nicht mal spucken. Zu einem Polizisten nicht ,buh!’ sagen. Die Wahrheit sieht so aus, Kumpel: Es ist leichter, den Ring anzustecken, als ihn wieder abzunehmen. Was würde ich nicht für einen kleinen Pieks geben, wenn ich fluche. Aber jetzt bin ich allein. Alles, was ich tue, das ist: Leute um einer Sache willen ärgern, die auch mein Ring-Teufel gutgeheißen hätte, solange er am Leben war. Muß es tun, weil ich’s nicht tun muß; darum zählt es.“
„Um einer Sache willen? Leute wie ich?“
„Du? Nee, du nicht, Kumpel. Keiner wie du. Wenigstens nicht ganz. Eines Tages werde ich’s dir erzählen. Falls ich meine, daß du’n Freund von mir bist. Ich kenn’ dich noch nicht. Andere Freunde von mir, die geben mir jede Woche ‘n Schein, manchmal zwei Scheine. Ist nicht viel. Natürlich geben sie’s mir nicht, wenn sie’s selber wirklich brauchen. Nur, wenn sie was gehört haben und anfangen zu kapieren. Bis bald, Kumpel. Seh’ dich in ein paar Tagen.“
Jeff ging weiter und machte sich seine Gedanken über Paxton. Verrückt. Aber vielleicht schlau-verrückt. Der alte Gauner mußte einer der allerersten Beringten gewesen sein – aber er schien das mustergültige Leben, das er geführt hatte, fast zu bedauern. Reue, aber irgendwie auch Frohlocken darin. Hatte durch den Ring etwas in ihm ausgehakt? War er so alt, wie er aussah, oder zeigte sich da auch die Anstrengung durch den Ring? Das war ein bedrängender Gedanke – am Anfang einer Strafzeit von fünf Jahren.
Wenn ein hartgesottener Verbrecher – was Dave doch wohl gewesen war – sich so sehr geändert haben konnte, was geschah dann mit und in dem gewöhnlichen Verurteilten? Landete Jeff etwa nach fünf Jahren als hilfloses Wrack selbst hier im Park? Ging er dann betteln?
Am Ende seines dritten Arbeitstages (er hatte den ersten Tag der Lohn-Periode verpaßt) fühlte sich Jeff wie ein alter McKissic-Beschäftigter, als er vor dem Zahlfenster Schlange stand. Er sah zu, wie die Beringten vor ihm ihre Umschläge nahmen und gingen. Geistesgestört sahen sie nicht aus; auch diejenigen, die er schon kannte, waren nicht gar so seltsam. Sie schwatzten, sie hieben sich gegenseitig auf die Schulter, sie behandelten ihn mit Anstand. Einen hatte er schon abends besucht, und sie hatten über die Erde und den Weltraum und Frauen und das übliche gesprochen.
Etwas träge dachte er an Dave Paxton, gespannt, ob er dem seltsamen alten Mann heute wirklich begegnen würde – jetzt, da er ihm das Geld geben konnte –, oder ob das ganze ein sonderbarer Erd-Scherz gewesen war.
„Geoffrey Font junior.“
Jeff schreckte aus seiner Geistesabwesenheit auf. Die Stimme, die seinen Namen ausgerufen hatte, kam ihm bekannt vor. Er blickte auf und entdeckte hinter dem Zahlfenster das Gesicht von Alice Lang. Lächelnd hielt er seine Arbeitsabrechnungen hin.
„Du bist der letzte, Jeff.“
Er nahm die Karte. Er hatte nicht erwartet, sie wiederzusehen, obwohl er sich darüber freute, daß sie hier war. „Warum … warum …?“
„Warum ich hier bin? Jeff, das ist wirklich keine sehr kluge Frage. Du hast den Ring an meinem Zeh gesehen.
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