Der Ring Der Jaegerin
dem Heizkörper zusammen. Ich klaubte sie auf und legte sie an das Fußende meines Bettes.
Neben den Spaziergängen stellte ich fleißig meine Anlagen für die Diplomarbeit zusammen, trug Daten in Tabellen und Graphiken ein und überarbeitete das Literaturverzeichnis, um montags den letzten Feinschliff vornehmen zu können.
Daraus wurde allerdings nichts, denn Mergelstein hatte am Wochenende die Schraderschen Unterlagen aufbereitet und legte mir schon vor seiner Sitzung einen Haufen engbeschriebenen Papiers auf den Tisch. Der Mann hatte wirklich eine tödliche Handschrift. Und dann quetschte er immer noch eine Anmerkung an den Rand und noch ein Sternchen hier und noch einen Querverweis dort. Unvorstellbar, diesen Menschen an eine Textverarbeitung zu setzen. Da ich nicht nur mechanisch abtippte, las ich natürlich auch bewusst, was er da verbrochen hatte. Er war rege damit beschäftigt gewesen, eine Unternehmensanalyse zu erarbeiten, und das Ergebnis sah nicht schlecht aus. Im vergangenen Jahr hatte Schrader mit seiner Firma HeiDi ausnehmend gut abgeschnitten. Die Geräte für die Nierenkranken, die sich der Heimdialyse unterzogen, waren offensichtlich technisch wirklich ausgereift und boten den Patienten größtmöglichen Komfort. Die Mitarbeiterstruktur war absolut in Ordnung, nicht zu viele Verwaltungskräfte, gut ausgebildetes Produktionspersonal in einer vernünftigen Altersgruppe, der Standort war fast Gold wert, direkt neben einer Spedition im Industriegebiet, die langfristigen Verbindlichkeiten hielten sich mit den Forderungen die Waage, das Anlagevermögen war gemessen am Umsatz zwar noch immer hoch, aber bei einem derart hochtechnisierten Produkt nicht besorgniserregend. Kurz und gut, es sprach alles für ein gesundes Unternehmen. Blieb nur eine Frage: Warum nur wollte er den Laden denn verkaufen?
Diese Frage stellte ich am Nachmittag meinem Mergelstein dann auch, als ich ihm den sauber ausgedruckten Bericht zur Korrektur vorlegte. Er sah mich mit seinen großen braunen Augen milde erstaunt an, dann blitzte wohl kurz die Erinnerung daran auf, dass ich mal etwas von BWL -Studium gesagt hatte, und er nickte langsam.
»Sehen Sie, Frau Leyden, da haben Sie genau die Frage gestellt, die ich die ganze Zeit gesucht habe. Mir war, als sei etwas unstimmig an diesem Bericht.«
»Nicht an dem Bericht, Herr Mergelstein. Vielleicht an dem Unternehmen? Oder dem Unternehmer?«
»Mhh. Er ist sehr bezwingend, der Herr Schrader. Haben Sie ihn mal kennengelernt?«
Ich musste lächeln. Mergelsteinchen hatte manchmal seltsame Vorstellungen von meinem gesellschaftlichen Umgang. Noch war ich nur seine Sekretärin.
»Nein, Herr Mergelstein, woher sollte ich? Bislang haben Sie sich doch immer außerhalb mit ihm getroffen.«
»Ach ja, stimmt. Aber wissen Sie, da kommt mir eine Idee. Hätten Sie Lust, am Mittwoch mit zum Essen zu gehen, dann könnten Sie ihn kennenlernen?«
Seltsame Angebote bekam ich dieser Tage.
»Sind Sie sicher, dass ich in dem Kreis richtig aufgehoben wäre? Ich denke doch, dass es ein Essen unter Geschäftsführern ist, oder?«
»Aber kein Geschäftsessen. Mit Damen. Und, sehen Sie …«, er lächelte mich traurig, ein bisschen hilflos an, »… ich habe keine Dame, die ich mitbringen könnte. Aber Sie könnten mein Image etwas aufpolieren.«
Wirklich seltsame Angebote!
»Ihre Frau …«, setzte ich an und hätte mir beinahe auf meinen dummen Mund gehauen.
»Sie hat sich von mir getrennt und ist samt Katzen ausgezogen. Die Konkurrenz ist jünger und erfolgreicher.«
»Das tut mir leid.«
»Braucht es nicht. Aber vielleicht verstehen Sie, dass ich manchmal etwas unkonzentriert war in der letzten Zeit.«
»Wenn ich Ihnen einen Gefallen damit tue, komme ich natürlich gerne mit. Aber was hat es Ihrer Meinung nach für einen Sinn, dass ich Schrader kennenlerne?«
»Nun, ich würde gerne mal das Urteil einer klugen Frau über ihn hören.«
»Danke für die Blumen!«
»Wie bitte?«
»Ach, war nur so eine flapsige Erwiderung auf ein Kompliment. Ich werde mich bemühen, mir ein Bild zu machen. Donnerstagabend also, vermutlich von hier aus.«
»Ja, ich nehme Sie dann mit.«
Ich sah auf die Uhr und brach in milde Hektik aus. Wenn ich meinen Kurs noch schaffen wollte, musste ich mich beeilen. Gut dass ich meine neue, geräumige Tasche schon gepackt im Auto liegen hatte. An der ersten Ampel zog ich schon mal die Haarnadeln aus der Frisur und entwirrte den eingeschlagenen, haarspraystarrenden Knoten,
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