Der Ring der Kraft - Covenant 06
beachtet. Ihre gesamte Aufmerksamkeit hatte dem gegolten, was geschah – und der Schwärze, die sich in Gibbons Nähe in ihr regte. Infolgedessen war es ihr entgangen, in welchem Umfang die Halle und das, was sich darin befand, Schaden genommen hatten. Aber jetzt sah sie die Verwüstung, spürte ihre Fürchterlichkeit.
Ringsum an den Wänden, hinter den Säulen, in den Ecken und abgelegeneren Bereichen waren viele der uralten Kunstgegenstände des Landes unbeschädigt geblieben. In der Mitte der Halle jedoch herrschte wüstes Durcheinander. Gobelins waren verbrannt, Skulpturen zerschellt, Gemälde zerfetzt worden. Risse durchzogen zwei der Säulen von unten bis oben; aus der Decke waren Steinbrocken gebrochen, aus dem Fußboden gesprungen; das Mosaik, auf dem Gibbon gestanden hatte, war völlig zertrümmert. Die Früchte jahrhundertelanger menschlicher Bemühungen und Bestrebungen waren durch die unbezähmbaren Kräfte, die Covenant und der Wütrich hier entfesselt hatten, zugrunde gerichtet worden.
Einen Moment lang wirkte Covenants Blick nicht minder verwüstet als das Innere der Halle. Kein noch so großes Maß an Sicherheit konnte die Folgen dessen beheben, was er angefangen hatte, ohne es selber zu einem erfolgreichen Ende bringen zu können.
Wie Linden dort stand, hin- und hergerissen zwischen Covenants Pein und dem schrecklichen Zustand der Halle, fiel ihr nicht sofort auf, daß ein Großteil der Trümmer schon weggeräumt worden war; dann aber sah sie Nom an der Arbeit und erkannte, was die Sandgorgone tat. Sie sammelte steinerne Bruchstücke, abgesplitterte Teile von Bildwerken, Scherben von Keramiken, jedes Trümmerstück, das sie zwischen ihren stumpfartigen Unterarmen aufheben konnte, und sie verwendete all diese Fragmente mit außerordentlicher Sorgsamkeit für Blankehans' Grabstätte. Der Grabhügel war bereits höher als Linden; aber Nom war noch nicht zufrieden. Ebenso schnell wie umsichtig ergänzte die Sandgorgone den aufgeschichteten Steinhaufen mit zerbrochener Kunst. Der Haufen war zu grob aufgehäuft, besaß keine besondere Form. Nichtsdestoweniger eilte Nom umher und türmte ihn immer höher empor, als wäre er ein Sinnbild des fernen Schreckens der Sandgorgonen. Das war Noms Ehrenbezeugung für den Riesen, der es ihr ermöglicht hatte, den Gibbon-Wütrich zu zerreißen. Blankehans hatte Samadhi -Sheol in seinem Innern fest- und niedergehalten, so daß der Wütrich nicht von Nom Besitz ergreifen, sich der Sandgorgone, ihres Gemüts und ihrer Stärke nicht bemächtigen konnte. Dadurch war es Nom gelungen, etwas Neues zu werden, eine Sandgorgone mit regem Geist, Wissen und eigenem Willen. Mit diesem Hügelgrab würdigte Nom das Opfer des Kapitäns, als habe es sich um ein persönliches Geschenk gehandelt.
Dieser Anblick milderte Covenants Pein. Linden erinnerte sich an Hergrom und Ceer; sie hätte nie gedacht, daß Covenant einmal einer Sandgorgone ein Gefühl entgegenbringen könnte, das an Dankbarkeit grenzte. Aber sie wußte keine andere Bezeichnung für das, was er empfand, während sie Nom bei der Arbeit beobachteten.
Obwohl es der Sandgorgone an herkömmlicher Sicht oder normalem Gehör fehlte, war sie sich allem Anschein nach ihrer Zuschauer bewußt. Doch sie stellte ihre Tätigkeit nicht ein, ehe sie Blankehans' Grabhügel um das letzte Trümmerstück bereichert hatte, das groß genug war, um mit ihren klobigen Armen ergriffen werden zu können. Dann jedoch machte sie unvermittelt Schluß mit ihrem Tun und kam zu Covenant. Ein paar Schritte vor ihm blieb sie stehen. Mit ihren nach hinten geknickten Knien verbeugte sie sich vor Covenant bis auf den Boden, berührte den Stein mit ihrer Stirn.
Die Ehrerbietigkeit der Sandgorgone bereitete Covenant Verlegenheit. »Steh auf«, sagte er leise. »Steh auf! Du hast was Besseres als so was verdient.« Aber Nom verblieb in gebeugter Haltung, als erachte sie ihn für der Verehrung würdig.
Unerwartet begann Cail für die Sandgorgone zu sprechen. Er befand sich wieder im Vollbesitz seiner Haruchai -Fähigkeit, von nichts überrascht werden zu können. Er gab die Überlegungen der Sandgorgone wieder, als wäre er bestens mit ihnen vertraut. »Nom wünscht, du mögest darüber Klarheit haben, daß sie dich als Gebieter anerkennt. Sie wird jedwedem Befehl gehorchen. Dennoch bittet sie dich, nicht über sie zu gebieten. Es ist ihr Wunsch, frei sein zu dürfen. Sie möchte zu ihrer Heimat in der Großen Wüste und ihren gebannten Artgenossen
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