Der Ring der Kraft - Covenant 06
angesichts seiner Selbstverleugnung, der Aufgabe seiner selbst, die darin zum Ausdruck gelangte, nicht auf ihn einzuschimpfen. Er verhielt sich, als wäre er tatsächlich voll und ganz der Verzweiflung verfallen. Es war unerträglich. Aber sein Anblick war zu eindrucksvoll, erschütterte sie zu stark; sie fühlte sich nicht dazu imstande, Anschuldigungen oder Vorwürfe gegen ihn zu erheben. »Weißt du«, sagte sie, während sie ihren Kummer unterdrückte, ohne jedoch verhindern zu können, daß ihre Stimme nach Verlust klang, »der Bart steht dir gar nicht so schlecht. Er beginnt mir zu gefallen.« Sie bettelte ihn praktisch an.
Covenants Augen waren geschlossen, als fürchte er den Moment, in dem die Klinge, durch seine gefühllosen Finger unverläßlich gehandhabt, ihm die Haut zerschnitt. Aber mit jeder Bewegung des Messers gewannen seine Hände an Ruhe. »Als ich das letzte Mal hier gewesen bin, habe ich das gleiche getan. Ein Urböser hatte mich von einem Felssims gestoßen. Ich war von meinen Begleitern getrennt worden. Ganz allein. Ich hatte solche Furcht, daß ich nicht mal schreien konnte. Aber das Rasieren hat mir geholfen. Hättest du mich gesehen, wahrscheinlich wärst du der Meinung gewesen, ich wollte mir aus lauter Grausen die Gurgel durchschneiden. Aber es hilft.« Irgendwie gelang es ihm, sich nicht die Haut einzuritzen. Die verwendete Klinge machte sein Gesicht sauber und glatt. »Es ersetzt den Mut.« Endlich war er fertig. Er schob das Messer wieder in den Gürtel, schaute Linden an, als wüßte er genau, was sie ihm zu sagen versucht hatte. »Spaß macht's mir nicht gerade.« Sein Zweckbewußtsein schwang in seiner Stimme mit, so hart und unanfechtbar wie sein Ring. »Jedenfalls ist es aber besser, sich seine Risiken selber zu wählen, statt bloß zu versuchen, die Menschen zu überleben, denen man aus der Situation nicht raushelfen kann.«
Linden schlang die Arme um ihr Herz, verzichtete auf jede Antwort. Sein Gesicht war vom Schaben gerötet, doch nach wie vor frei von blauen Flecken. Sie durfte noch immer hoffen.
Allmählich sammelte Covenant neue Kräfte. Er benötigte weit ausgiebigere Erholung, als er sich gönnte; als er sich aufrichtete und seine Bereitschaft zum Weiterziehen bekanntgab, war er jedoch in merklich stabilerem Zustand. Die Erste trat ohne Zögern zu ihm. Pechnase dagegen blickte zu Linden herüber, als wäre ihm ihrerseits an einer Bestätigung gelegen. Sie erkannte in seinen Augen, daß er willens war, sich irgendeine Möglichkeit auszudenken, wie sich der erneute Aufbruch in Covenants Interesse hinausschieben ließ, falls sie es als notwendig erachtete. Pechnases wortlose Fragestellung gab Linden Anlaß zum Überlegen; aber schließlich beantwortete sie sie, indem sie sich erhob. Wenn Covenant entkräftet war, würde es leichter sein, ihn an seinem destruktiven Vorhaben zu hindern.
Sofort flößte diese Erwägung ihr Scham ein. Auch jetzt noch – nachdem er ihr gerade eine Demonstration seiner wissentlichen Einwilligung in den Tod gegeben hatte, als wäre er darauf ausgewesen, sie vom Wahrheitsgehalt der Äußerungen Kevins zu überzeugen – hatte sie das Gefühl, daß er Besseres verdiente als ihre insgeheimen, gegen ihn gefällten Entscheidungen.
Stumm trug Findail seine Körperaura in den nächsten Gang. Die Erste schulterte ihren Teil der zusammengeschmolzenen Vorräte der Gefährten, zog ihr Schwert. Pechnase schloß sich an, indem er bei sich murmelte. Hohl starrte wie geistesabwesend ins unerbittlich dichte Dunkel der Katakomben. Im Gänsemarsch folgte die Gruppe dem Ernannten der Elohim von neuem.
Wiederum verlief die Route, die er nahm, generell abwärts, führte in ungleichmäßigen Etappen und Abstufungen immer tiefer zu den harten Grundfesten des Donnerbergs hinab; und während die Gefährten den Abstieg bewältigten, veränderte sich die Beschaffenheit der Stollen. Sie nahmen einen zusehends ungefügeren, wüsteren Charakter an. Unregelmäßige Breschen zeigten sich in den Wänden, und aus den finsteren Löchern dahinter drangen dumpfige Ausdünstungen, fernes Ächzen, Ausströmungen wie kalter Schweiß. Unsichtbare Bewohner des Berginnern schlurften zu ihren Bauten. Wasser sickerte aus Rissen im Felsgestein, tröpfelte wie langsame Zersetzung. Sonderbares Brodeln schwoll auf und ab. Pechnase, der als Riese keine Furcht vor Felsen und Bergen empfand, nahm einen Stein, so groß wie seine Faust, zur Hand, und schleuderte ihn in eine der Öffnungen. Für
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