Der Ring des Highlanders: Roman (German Edition)
Gegend, klar?«
Sie schenkten ihr kein Gehör. Die eine Hälfte pickte, die andere trank. Auf ein schwaches Geräusch an der Stalltür hin öffnete Libby. Die entwichene Henne lief herein und gesellte sich zu ihren Gefährtinnen am Fressnapf.
Libby, die sich damit abfand, dass es hier heute für sie kein Frühstück geben würde, trat hinaus, schloss die Stalltür gewissenhaft und lief mit dem gelben Handtuch über dem Kopf zurück zum Haus und auf die Veranda, wo sie erleichtert aufatmete, weil sie keine weiteren Schüsse hörte.
Sehr merkwürdig … sich fürchten zu müssen, wenn man vor sein eigenes Haus trat. Bei ihrem Entschluss, nach Neuengland zu ziehen, hatte sie nicht an die Jagdsaison gedacht.
Sie lebte nicht vegetarisch. Ihr schmeckte Fleisch. Allerdings war sie nicht sicher, ob sie imstande gewesen wäre, ein niedliches kleines Reh zu verzehren. Wenn aber ihre Hennen sich weiterhin so angriffslustig benahmen, konnte sie sich gut vorstellen, eine oder zwei ihres Bestandes zu verspeisen.
Libby hängte ihr Handtuch an den Haken neben der Tür und ging zum Händewaschen ins Bad, während sie an den arbeitsreichen Tag dachte, der vor ihr lag. Sie hatte tausend Dinge zu tun, und ihr Scheckbuch würde wieder ordentlich geplündert werden.
Sie erwog, ihre Liste um ein neues Bett zu erweitern. Sie war nicht scharf darauf, Marys Laken mit Marys ehemaligem Lover in Marys altem Bett zu zerwühlen. Schlimm genug, dass sie Marys Haus bewohnte.
Libby putzte sich rasch die Zähne, machte ihr Haar zurecht und ging mit Handtasche und Einkaufsliste zur Garage. Sie wollte direkt zu Dolans Laden und wasserdichte Stiefel besorgen, dazu dicke Handschuhe zum Schutz gegen pickende Hühner sowie eine orangefarbene Jacke und eine ebensolche Mütze.
Sie öffnete die Garagentür, ging zu ihrem neuen Kombi und öffnete dessen Tür. Dann versuchte sie, sich zu erinnern, wie sie am Abend zuvor bei der Probefahrt in das verdammte Ding eingestiegen war.
Ach ja. Callum hatte sie netterweise hineingehoben. Dann hatte er netterweise vorgeschlagen, sie solle sich ein Laufbrett zulegen. Und er hatte die ganze Zeit über gegrinst.
Libby hatte bei dieser Gelegenheit seine Frau Charlotte und ihren hübschen Sohn Duncan kennen gelernt.
Nach mehreren Versuchen musste Libby sich geschlagen geben. Sie sah sich in der Garage um und entdeckte eine Kiste, die sie aufstellte und als Stufe verwendete. Hinter dem Steuer sitzend, langte sie hinunter, hob die Kiste herein und deponierte sie auf dem Boden der Beifahrerseite für die Rückfahrt.
Die nächsten drei Minuten brachte Libby damit zu, den Sitz einzustellen, heilfroh, dass sowohl die Höhe als auch der Abstand zum Gaspedal regulierbar waren. Callum hatte ihr – netterweise – geraten, sie solle, um das Gaspedal leichter zu erreichen, einen Holzklotz daran befestigen.
Sie schnallte sich an und startete. Das Geräusch des starken Motors entlockte ihr ein Lächeln, als sie sich im Wageninneren umsah. Der Suburban war so groß, dass man darin tanzen konnte. Libby schüttelte den Kopf und lachte über sich selbst. Wer hätte vor nur einem Monat gedacht, dass sie in den Bergen von Maine leben und einen Wagen fahren würde, der es an Größe mit ihrem Stadthaus aufnehmen konnte?
Sie wurde rasch wieder ernst. Es war feige gewesen, ihre Arbeit im Stich zu lassen. Vor allem aber hatte sie Schuld auf sich geladen, weil sie eine Gabe, mit der sie Menschen helfen konnte, verdrängte.
Aber würde diese Gabe sie nicht zu einer Art Midas machen? War es ihr bestimmt, alle zu heilen, mit denen sie in Berührung kam? Wo würde das hinführen, wenn sie zu einer Attraktion wurde, wenn Horden von Menschen sie aufsuchten, Jagd auf sie machten, sie mit Bitten verfolgten, sie anflehten?
Libby versuchte, ihren beunruhigenden Gedanken mit vernünftigen Argumenten zu begegnen. Solange sie ihre Gabe als Geheimnis für sich behielt, war sie sicher. In Pine Creek brauchte man nur zu wissen, dass sie eine Schmuckdesignerin aus Kalifornien war. Sie war sicher, dass Michael und Grace ihr Geheimnis nicht preisgeben würden. Keiner der beiden schien übertrieben beunruhigt wegen ihrer Zurückhaltung bezüglich ihrer Vergangenheit.
Die Tatsache, dass sie ihnen vertraute, erstaunte Libby.
Schon während ihres Studiums hatte sie gelernt, im Umgang mit Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete, auf Distanz zu achten. Mediziner gingen zwar meist in ihrem Beruf auf und hatten die lautersten Absichten, doch waren auch sie
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