Der Ring des Sarazenen
den Fluss zurückstürzen ließen. Sonderbarerweise war dabei nicht der geringste Laut zu hören. Auf der anderen Seite der Brücke, auf einem flachen Hügel, der die Gebäude der Stadt nur um weniges überragte, erhob sich die Zitadelle des Statthalters. Hinter ihren hohen Mauern verbarg sich der Palast, in dessen Harem sie um ein Haar gelandet wäre. Robin überlief ein eisiger Schauer, als sie die Festung betrachtete, ein Gebäude, das schon bei Tageslicht betrachtet unheimlich und abweisend wirken mochte, ihr jetzt aber vorkam wie das verwunschene Schloss des bösen Zauberers im Märchen.
Einer der beiden Wächter am anderen Ende der Brücke hob die Hand zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Sie gingen weiter. Robin hätte hinterher nicht mehr sagen können, wie lang dieser gespenstische Weg durch die Stadt gedauert hatte. Die Straßen auf dieser Seite des Flusses - der reicheren, wie sie annahm - waren breiter und das Pflaster in besserem Zustand, die meisten Gebäude etwas höher, und hier und da brannte sogar eine Öllampe über einem Eingang. Und das wohl nicht nur, um die Straßen des Nachts zu erhellen und das Gehen so bequemer zu machen, sondern vor allem, um den Reichtum ihres Besitzers zu verdeutlichen. Auch dieser zweite Teil des Weges erschien Robin irgendwie gespenstisch, aber er verlief ebenso ereignislos wie der Weg zum Fluss hinunter. Unbehelligt erreichten sie das erste Ziel ihrer Flucht: Die Karawanserei, von der Omar gesprochen hatte.
Es war ein großer, rechteckiger Bau nahe des Stadttores, mit nur einem einzigen Eingang. Einer von Omars Männern zog einen Dolch aus dem Gürtel und klopfte mit dem Knauf gegen das dicke Holz des Tores. Einen Augenblick später öffnete sich eine kleine Mannpforte darin, und der kleine Trupp betrat einen weiten Hof, der nur von blassem Sternenlicht erhellt wurde. Robin konnte die klobigen Umrisse des eigentlichen Gebäudes auf der anderen Seite nur verschwommen erkennen. Doch um sie herum war Leben. Hier und da raschelte es, klirrte Metall oder erhob sich ein verschlafenes Gesicht, um einen müden Blick in ihre Richtung zu werfen, und ganz in der Nähe glaubte Robin sogar ein tiefes Schnarchen zu hören.
Hinter dem letzten Mann wurde die Pforte sofort wieder geschlossen. Das dumpfe Geräusch, mit dem der schwere Riegel vorgeschoben wurde, sollte ihr eigentlich ein Gefühl von Sicherheit geben, aber das genaue Gegenteil war der Fall: Sie fühlte sich plötzlich wieder eingesperrt und gefangen.
»Solch nächtliche Abenteuer sind nichts mehr für einen Mann meines Alters«, keuchte Harun hinter ihr. Er schnaufte, als drohte er im nächsten Moment umzufallen, um seine Behauptung auf der Stelle zu beweisen. Als Robin sich erschrocken herumdrehte, bemerkte sie, dass er tatsächlich am ganzen Leib zitterte. Obwohl die Nacht eher zu kühl als zu warm gewesen war, bedeckte eine glänzende Schweißschicht seine Stirn und der Blick, den er in die Runde warf und mit dem er die Dunkelheit zu durchbohren versuchte, war eindeutig der eines Mannes, der Todesangst litt.
»Dann schlage ich vor, Ihr geht zurück in mein Haus und wartet dort auf unseren Freund Arslan«, sagte Omar Khalid.
»Ich bin sicher, es wird Euch nicht schwer fallen, ihm zu erklären, dass Ihr mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun habt.«
Harun setzte zu einer Antwort an und schluckte sie dann im letzten Moment herunter. In seinen Augen blitzte es auf, aber Robin vermochte nicht zu sagen, ob es Entsetzen, Zorn oder nicht doch so etwas wie Spott war.
Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie erkannte jetzt, dass der Hof nicht einfach ein von Mauern umschlossener Platz war. An drei Seiten gab es einen überdachten Säulengang mit hohen Rundbögen, der sie vage an den Kreuzgang eines Klosters erinnerte, jedoch keinen annähernd so feierlichen Anblick bot. Überall auf dem Boden hatten sich schlafende Gestalten zusammengerollt; vermutlich die Reisenden, die sich kein besseres Quartier in der Karawanserei leisten konnten. Etliche Männer lagen in Decken auf dem nackten Steinboden, einige wenige hatten ihre Häupter auf Sättel oder große Jutesäcke gebettet. Nicht wenige schienen kurzerhand auf ihren Waren zu schlafen, um sich so vor Diebstahl zu schützen. Hinter dem Säulengang lagen die Gebäude, die die Vorratslager und Räume zum Einlagern kostbarer Karawanengüter beherbergten. Von Harun wusste sie, dass es tiefer im Gebäude nicht nur Unterkünfte für wohlhabende
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