Der Ring des Sarazenen
Macht. Niemand, der sie bestiehlt, kann ihrem Zorn entgehen - ganz gleich, ob es nun ein Edelstein oder nur eine Rose ist. Wer immer das getan hat, ist ein Narr, oder er sucht den Tod.«
In diesem Moment tauchte Nemeth hinter ihr auf, die eine Schale mit kaltem Hirsebrei und etwas Wasser brachte. Als sie Robin das kärgliche Frühstück reichte, fiel auch ihr Blick auf die Rose, aber sie erschrak nicht, sondern betrachtete sie nur stirnrunzelnd. Sie fragte sich offenbar, wo diese Blume hier, mitten in der Wüste, herkam. Robin griff jedoch rasch nach der Blume und verbarg sie unter ihrem Gewand.
Mit einem vorwurfsvollen Blick stand Saila rasch auf, rief ihre Tochter und entfernte sich. Robin sah ihr verstört hinterher und ertappte sich dabei, wie ihre Hand wie von selbst nach der Stelle tastete, an der sie die unscheinbare Blume unter ihre Kleider geschoben hatte. Es war ein sonderbares Gefühl. Wohl ahnte sie, dass diese Liebesgabe eher Unglück als Glück bringen musste, und dennoch… sie hatte noch nie ein solches Geschenk bekommen. Nicht einmal von Salim.
Schuldbewusst verjagte sie auch diesen Gedanken und konzentrierte sich für die nächsten Minuten ganz auf ihr kärgliches Frühstück. Bis sie fertig war, waren sämtliche Kamele ringsum - einschließlich ihres eigenen, um das sich Saila und Nemeth kümmerten - beladen und bereit zum Aufbruch, und endlich sah sie auch Omar. Der Sklavenhändler eilte mit schnellen Schritten auf sie zu. Aber er schien sie gar nicht zu bemerken, sondern blickte starr an ihr vorbei und marschierte mit offensichtlichem Zorn auf Harun zu, der als Einziger im Lager noch immer schlief. Omar weckte ihn mit einem Fußtritt, der einen normalen Mann zur Seite geschleudert hätte, Harun aber nur zu einem Grunzen und einer unwilligen Bewegung im Schlaf veranlasste. Erst als Omar ihm einen zweiten und noch unsanfteren Tritt versetzte, schlug er widerwillig die Augen auf und blinzelte verschlafen zu dem Sklavenhändler hoch.
»Ist das Frühstück schon fertig?«, fragte er.
»Wir brechen auf«, knurrte Omar. »Du kannst aber auch gern hier bleiben. Vielleicht kommt ja ein Dschinn vorbei und lädt dich zu einem Festmahl ein.«
Harun blinzelte noch verwirrter, und Omar drehte sich auf der Stelle herum und marschierte wieder davon. Auch jetzt vermied er es fast zwanghaft, in ihre Richtung zu sehen.
In aller Eile verließ die Karawane die Ruinenstadt. Robin fand nicht einmal mehr die Zeit, ihre Schale mit Sand auszuwaschen, wie es unterwegs üblich war, sondern verstaute sie hastig in den Satteltaschen des Kamels und stieg in den Sattel. Sie ritt jetzt nicht mehr auf die sonderbare Weise, die Harun ihr am ersten Tag beigebracht hatte, sondern saß wie ein Mann im Sattel.
Als sie durch das Tor kamen, durch das sie am vergangenen Abend diesen verwunschenen Ort aufgesucht hatten, sah sie sich noch einmal um. Harun war noch damit beschäftigt, sein Kamel zu beladen, aber auch er hatte es sichtbar eilig. Mit einiger Mühe würde er die Karawane sicher wieder einholen. Robin war erleichtert. Der übergewichtige Araber war ihr - auch wenn sie ihn nicht gerade als Freund bezeichnen würde - in den letzten Tagen mehr und mehr ans Herz gewachsen. Man wurde bescheiden, wenn man kaum mehr Menschen um sich wusste, denen man vertrauen konnte.
Gerade als Robin sich ernsthafte Sorgen um ihn zu machen begann, tauchte Harun auf seinem Kamel unter dem Tor auf. Er hatte sich umgezogen. Statt albern wie ein herausgeputzter Papagei saß er nun, vollkommen in Schwarz gekleidet, im Sattel seines Kameles. Mit seiner hofnarrenhaften Aufmachung schien auch jegliches linkische Gehabe von ihm abgefallen zu sein. Robin konnte sich nicht daran erinnern, Harun al Dhin jemals so selbstverständlich und in perfekter Haltung auf seinem Kamel sitzen gesehen zu haben. Obwohl er ein gutes Stück zurücklag, holte er doch schnell auf und wurde erst langsamer, als er das Ende der Karawane erreicht hatte. Auch dann noch ließ er sein Tier ein wenig schneller traben als die anderen, sodass er allmählich wieder an ihre Seite gelangte. Ein sonderbar spöttisches Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er an ihr vorbeiritt und dann - wortlos - seinen angestammten Platz zwei Kamellängen vor ihr wieder einnahm.
Der Rest des Vormittages verlief ereignislos. Sie bewegten sich weiter in einer Richtung, von der Robin längst nicht mehr wusste, ob sie Süden oder Norden, Osten oder Westen war. Ohnehin war es ganz egal, in welche
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