Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Deshalb bin ich hier.“ Wieder pausierte Frau Winkler, als müsste sie neuen Mut fassen, um weiter zusprechen. „Sie haben sicher noch weitere Dinge an den Tatorten gefunden, die Sie der Presse aus vermutlich gutem Grund verschwiegen haben.“
Elsbeth Winkler kramte in ihrer Tasche und förderte eine versilberte Dose zu Tage, aus der sie ein winziges Pfefferminzbonbon nahm. Wagner lehnte ihre angebotene Erfrischung ab und fragte sich, wie sie zu der durchaus korrekten Annahme kam, dass nicht alle Informationen offengelegt worden waren. Kein Mensch macht sich darüber Gedanken, wenn er die Zeitung las. Oder doch?
Frau Winkler war nun bereit fortzufahren: „Ich dachte mir, wenn ich Ihnen meine Vermutungen bezüglich Ihrer spärlichen Angaben gegenüber der Presse erkläre, können Sie anhand Ihrer Kenntnis des Ganzen den Mörder schneller zur Strecke bringen.“
Wagner war sprachlos und nickte bloß stoisch. „Ich befasse mich seit Jahren intensiv mit der Musik Ihres großartigen Namensvetters. Richard Wagner ist Ihnen ein Begriff, nehme ich an?“ Elsbeth Winkler wartete seine Antwort nicht ab. Sie war nun ganz in ihrem Element.
„Der Ring des Nibelungen ist sein wohl bekanntestes und ebenso aufwendigstes Werk. Wer sich näher damit befasst, erkennt in der Geschichte dieses Opernzyklus und in der vielfältigen Symbolik das Spiegelbild der menschlichen Gesellschaft. Dies ist übrigens unabhängig von irgendwelchen Epochen oder Gesellschaftsstrukturen.“ Elsbeth Winkler sah kichernd in Hauptkommissar Wagners überfordertes Gesicht. „Entschuldigen Sie. Ich habe mich hinreißen lassen. Jedenfalls glaube ich anhand der Hinterlassenschaften am Tatort einen Zusammenhang mit eben diesem Zyklus ‚Der Ring des Nibelungen‘ entdeckt zu haben.“
Ein ungläubiges „Wie bitte?“ war alles, was Wagner hervorbrachte.
„Sie müssen wissen, dass jede Figur mit bestimmten Attributen, oder treffender, Symbolen ausgestattet ist. Außerdem ist dieser Opernzyklus ziemlich blutig. Aus einem mir unverständlichen Grund mordet sich ihre gesuchte Person durch den Ring des Nibelungen. Und je nach Motivation hat er noch einiges vor sich!“ Elsbeth Winkler atmete tief durch.
Wagner war fassungslos.
Diese Frau war völlig durchgeknallt. Zeitverschwendung. Er hatte eine Fernsehproduktion der Nibelungensage in drei Teilen bei irgendeinem privaten Fernsehsender gesehen. Da ging es um lauter mystisches Zeugs. Zugegeben, die Produzenten des Werkes hatten die Geschichte gewiss stark vereinfacht. Eben dies teilte er auch Elsbeth Winkler mit.
Die lächelte bloß und antwortete knapp: „Die Nibelungensage hat nur äußerst entfernt mit Wagners Ring zu tun. Deshalb ist die Symbolik auch eine andere. Das ist vielleicht von Interesse für Sie.“ Sie strich sich mit gesenktem Blick den Rock glatt.
„Frau Winkler, könnten Sie etwas deutlicher werden? Meine Zeit ist, wie Sie richtig bemerkt haben, knapp und…“ „Na schön. Sie wollen ein Beispiel? Olaf Westhofen wurde mit einem Dolch erstochen, richtig soweit? Auf seiner Brust wurde ein Drachen aufgemalt, und auf seinem Körper fanden Sie Regenwürmer?“ Elsbeth Winkler wartete das stumme Nicken Wagners ab, um dann fortzufahren: „Ich werde mich kurz und stark vereinfacht halten, um Ihre kostbare Zeit nicht unnötig zu strapazieren. Westhofen stellt den Riesen Fafner aus dem Ring des Nibelungen dar, der im Streit um den Nibelungenhort seinen Bruder Fasolt erschlägt. Später verwandelt er sich in einen Drachen und bewacht das Nibelungengold. Im Verlauf der Geschichte wird er von dem jungen Siegfried getötet. Das dürfte Ihnen vielleicht bekannt vorkommen. Nicht jeder weiß allerdings, dass dieser Drache gerne in Form eines Lindwurms dargestellt wird.“
Elsbeth Winklers funkelnde Augen sahen in Wagners leeres Gesicht.
„Drache, Wurm, antiker Dolch? Sagt Ihnen das nichts? Nun ja, Herr Hauptkommissar. Mir hat es zunächst auch nichts gesagt.“ Frau Winkler deutete auf den zweiten Artikel.
„Wilhelm Gornheim ist für Ihren Mörder das Ebenbild des Zwergs Mime. Der ist einer der Nibelungen und obendrein der Ziehvater von Siegfried. Sie wissen ja, derjenige, der den Drachen Fafner tötet. Mime war ein begnadeter Schmied, denken Sie an den Gartenzwerg mit Hammer und Amboss neben dem Opfer. Getötet wurde Herr Gornheim durch ein Schwert, das vorläufig verschwunden war. Im Ring des Nibelungen tötet Siegfried seinen Ziehvater Mime mit seinem Schwert, genannt Notung. Haben Sie
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