Der Ring um das Auge Gottes
Fahrt lange genug, um jedermann auf die Nerven zu gehen. Sie blieben höflich, aber alle waren froh, daß die Größe des Schiffs ein gewisses Privatleben ermöglichte.
Immerhin bemerkte Renner, daß die seltsame Freundschaft zwischen Bury und Buckman so eng blieb wie eh und je. Und wenn der neue Vizekönig es überdrüssig war, einerseits Geschichten über den Handel im Imperium erzählt zu bekommen, und andererseits von den Torheiten Kaiserlicher Wissenschaftspolitik hören zu müssen, dann ließ er sich das nicht anmerken. Renner hatte schon längst die Gewohnheit angenommen, sich nach dem feierlichen Abendessen rasch zu entschuldigen.
Er freute sich, den letzten Sprung ankündigen zu können. Er sagte: »Es wird etwa um Mitternacht Schiffszeit erfolgen. Nehmen Sie Ihre Schlafpillen, und Sie könnten durchschlafen.«
»Ich wünsche, ich könnte es«, sagte Ruth Cohen. »Und ich glaube nicht, daß ich mich jemals an den Schock des Sprunges gewöhnen werde.«
»An sich könnten Sie durchschlafen«, sagte Renner. »Sie werden sich aber nicht daran gewöhnen. Das ist nicht möglich. Aber jedenfalls ist es für einige Zeit das letzte Mal.«
»Eines meiner Schiffe sollte warten«, sagte Bury.
Renner nickte. »Jawohl, Sir. Sie werden schon längst warten. Wir hatten eine Nachricht, daß das Schiff vor drei Wochen hindurchgegangen sei.«
Bury schnitt eine Grimasse. »Ein kostspieliges Rendezvous. Nun gut, ich danke Ihnen, Kevin.«
Eine schwache, heisere Stimme erklang durch das Schiff, erst auf arabisch, dann auf anglisch.
»Beten ist besser als Schlafen!
Kommt zum Gebet! Ich bezeuge, daß der Herr, unser Gott, ein einziger Gott ist. Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet. Kommt zum Gebet!
Gott ist groß! Beten ist besser als Schlafen!«
Ruth Cohen setzte sich hoch. »Was, in aller Welt …?« Das Schiff befand sich im freien Fall. Die Velcro-Decken hatten sie sanft im Bett gehalten; und sie hatte sich in den letzten Wochen so an Schwereveränderungen gewöhnt, daß das Schwinden der Rotation des Schiffs sie nicht aufgeweckt hatte. Das muß sehr glatt erfolgt sein. Sie erkannte, daß sie im Bett allein war. Und ich habe auch tatsächlich den Sprung verschlafen.
Kevin Renner schwebte von der Nachbarkabine herein, als der Singsang endlich aufhörte. »Pst!«
»Aber …«
»Horace hat Besucher. Partner oder Verwandte, vielleicht beides, von Levant aus dem Versorgungsschiff. Bury läßt Nabil den Muezzin spielen, wenn er wie ein konventioneller Muslim aussehen will. Leider konnte ich dich nicht warnen. Wir haben es erst gemerkt, als wir die Schiffe andockten. Und danach hatte ich zu tun.«
»Aber …«
Renner grinste. »Sie würden es nicht mögen, daß der Pilot der Sindbad mit einer Konkubine schläft.«
»Ich bin keine …«
»Gewiß, ich weiß das, und du weißt es, aber sie würden es nicht wissen. Jedenfalls nehme ich es zurück. Sie würden nicht darüber schockiert sein, daß ich eine Konkubine habe. Sie würden vielleicht nicht durch deinen Namen gereizt sein.«
»Namen?«
»Du bist aus Dyan.«
»Ich bin nicht aus Dyan. Ich komme aus Neu-Washington.«
»Ich weiß.«
»Und ich bin Marine-Offizier und in dienstlicher Eigenschaft hier.« Sie schaute auf ihre durchsichtige Haremskombination hinunter und versuchte zu grinsen. »Nun, in diesem Moment nicht gerade im Dienst – Kevin, das ist nicht komisch.«
»Nun, vielleicht nicht. Mindestens war es nicht schwer, die passende Richtung zu finden.«
»Kevin …«
»Wende dich zur Erde, und du bist zugleich gen Jerusalem und Mekka gewandt. Von hier aus kein Unterschied. Gleiche Qiblah.«
»Was soll das eigentlich?«
»Ich habe es einmal nachgelesen. Als Mohammed zuerst nach Medina ging, predigte er, daß die Juden und die Gläubigen ein Volk seien und alle einen Messias haben würden. Vielleicht ihn selbst, aber das war nicht erwiesen. Einen Gott, Allah, der derselbe war wie der jüdische Jehova. Mohammed verehrte die Thora, das mosaische Gesetz. Betete gen Jerusalem gewandt.«
»Jerusalem? Kevin, warum diskutieren wir das?«
»Damit du nicht auf die Idee kommst, gekränkt zu sein.«
»Es gefällt mir trotzdem nicht.«
»Natürlich nicht. Auch Bury gefällt es nicht. Du bist ein Gast.
Wenn du darauf bestehst, einer zu sein, wird Bury mitspielen. Aber wer weiß, was es ihn kosten würde.«
»Oh!« Ruth zog sich ein Laken bis ans Kinn hoch und wühlte sich tiefer in die Decken, die sie auf der
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