Der Ring
verschwanden.
Martha hatte überlebt, aber wozu? Wäre es möglich gewesen, hätte sie die Gewehre sofort gegen sich selbst gerichtet.
Stattdessen sank sie auf die Knie. Vivian und Rachel stützten sie, umarmten sie, drückten sich an sie, doch die Leere in ihrer Mitte konnten auch sie nicht ausfüllen.
An die Stunden, die sie im Gebärmutterraum hockten, während der Bautrupp die Luftschleuse aufzubrechen versuchte – was ihm schließlich gelang –, konnten sie sich später nicht mehr erinnern. Aber sie wussten noch, dass sie sich hinterher an Scarlets Leiche geklammert hatten, bis sie einzeln auf Tragbahren geschnallt und abtransportiert wurden.
In den nächsten Tagen zogen Prozessionen von Ärzten durch die Krankenstation, alle mit dem erklärten Ziel, dem dezimierten Pod bei der Bewältigung des Schocks zu helfen. Doch deren gut gemeinte Ratschläge und Übungen fruchteten nicht – Redd war wehrlos gegen das Schwarze Loch in ihrem Inneren. Redd war nicht mehr Redd, sondern in Vivian, Rachel und Martha zerfallen. Obwohl sie zu dritt in ein Bett gepasst hätten, schliefen sie allein.
Einmal schaute Nicholas vorbei, doch er trat nicht ins Zimmer, sondern blieb an der Tür stehen. »Hallo, Redd. Wir … Wir wissen nicht, wie …«
Als er zögerte, ahnte sie, was er dachte: Welche fehlt? Welche ist gestorben? Auf jedem seiner Gesichter spiegelte sich das Grauen.
»Es tut uns leid«, fuhr er fort. »Wir …«
»Mach dir keinen Kopf. Du musst nicht auf uns warten.« Wahrscheinlich hatte man ihm irgendwo einen Job oder eine andere Postdoc-Stelle angeboten.
Nicholas schluckte herunter. »Ruf an, sobald dir danach ist, ja?«
Martha nickte, obwohl alle drei wussten, dass das Angebot nicht ernst gemeint sein konnte. Immerhin hatte er es versucht.
Die Trauer um Scarlet ließ sie nicht näher zusammenrücken, sondern entfernte sie voneinander. Zweimal musste Vivian von Pflegern eingefangen werden, als sie in fast katatonischem Zustand durch die Flure irrte.
Den Studenten, die sich zu einem Besuch bei Redd durchrangen, war anzusehen, wie unwohl sie sich in ihrer Gegenwart fühlten. Redd war widerfahren, was sie am meisten fürchteten: ein teilweiser Verlust der Persönlichkeit, eine Selbstentfremdung, die den ehemals intakten Pod in einen Schatten seiner selbst verwandelt hatte.
Sogar Khalid tauchte auf. Er gab sich ruhig und sachlich, wollte vor allem über die Laborarbeiten sprechen, die er vorübergehend für Redd übernommen hatte. Vivian, Rachel und Martha waren froh, dass er sie kein bisschen liebenswürdiger als früher behandelte. Für ihn waren sie offensichtlich immer noch die alte Redd.
»Wir müssen uns bei dir bedanken«, meinte er nach einer kurzen Pause.
»Wofür?«
»Du hast die Quintettembryonen gerettet. Jetzt sind sie sicher, selbst vorm Eugenikministerium.«
»Ach, das …«
»Du hast dich für sie geopfert. Obwohl du wusstest, dass sie nicht … genehmigt waren. Jetzt bist du eine Heldin, und die Embryonen sind allen heilig.«
»Gut zu wissen.«
»Redd.« Khalid zögerte. »Eines Tages werden die Babys einen Lehrer brauchen. Einen Mentor. Aber ich bin bloß ein Genetiker, und nicht mal ein besonders guter, wenn man dir glauben darf.« Er lachte über den eigenen Witz, ein freudloses Lachen. »Du wärst bestimmt eine großartige Mentorin. Die Kleinen würden dich lieben. Die Quintette, meine ich.«
»Wir sind uns noch nicht sicher, was wir künftig machen werden«, erwiderte Martha.
Vivian, die bisher aus dem Fenster gestarrt hatte, drehte sich um. Ich würde mich gerne um die Kinder kümmern.
Martha spürte Rachels Zustimmung.
»Schon klar«, fuhr Khalid fort. »Du willst kein fremdes Projekt übernehmen.«
»Vielleicht doch. Wenn du uns verrätst, woher die DNA-Sequenzen stammen.«
Khalid zuckte zusammen, lächelte aber plötzlich. »Von Cahill. Und sie hat sie von …« Jetzt flüsterte er. »… von der Ring-KI. Vor zehn Jahren, unmittelbar vor dem Exodus, hat die Ring-KI eine Menge Daten heruntergeschickt, unter anderem die Quintettsequenzen. Seitdem lässt das Institut ab und zu was durchsickern.«
Der Ring!
Der Hort des Reichtums!
Martha schüttelte den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn.«
»Der Code ist völlig in Ordnung, Redd. Cahill ist ihn Stück für Stück durchgegangen. Die Babys werden nicht weniger menschlich sein als du oder ich.«
Redd nickte. »Okay. Wir kümmern uns um deine Quintette.«
Khalid nickte ebenfalls. »Wir haben nichts anderes erwartet. Aber wir
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