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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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wache auf. Allein. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist Malcolm Letos lächelndes Gesicht, gefolgt von einem merkwürdigen Geruch. Irgendein Gas. Kurz darauf bin ich ohnmächtig geworden.
    Natürlich wussten wir, dass wir Malcolm Leto gegenübertreten würden, als wir diese Mission übernommen haben. Ich wusste, dass ich dem Mann gegenübertreten würde, der mich vergewaltigt hat – und zwar nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist. Und trotzdem spüre ich keine Erleichterung, keine Katharsis.
    Nein, ich habe Angst. Panische Angst.
    Jetzt, wo ich wirklich allein bin, wird mir eines klar: Zwischen mir und der Dunkelheit steht nur der Pod.
     
    Ich bin Kraft; ich bin allein. Allein wird Kraft zur Schwäche.
    Nein. Das ist ein Irrtum.
    Die Luft ist vollkommen geruchlos, anscheinend wird sie gefiltert. Vergeblich suche ich nach dem Duft meines Pods. Leto, der verdammte Leto, geht kein Risiko ein.
    Ich hämmere gegen die Tür. Sie vibriert unter meinen Fäusten, ohne sich zu rühren. Meine Kraft bringt nichts.
    Jetzt lasse ich mich gegen die Tür sinken. Was kann ich schon tun? Ich kann nur warten.
    Auf dem Flur nähern sich Schritte. Zwei Paar Stiefel, schätze ich. Ich ziehe mich in die Mitte des Raums zurück und überlege, wie ich meine Gegner am effektivsten attackieren könnte.
    Eine Stimme von draußen. »Der hier?«
    »Nein. Zuerst das eine Mädchen, hat er gesagt.«
    Die Stimmen entfernen sich. Alles ist still.
     
    Ich taste nach dem Oberlicht. Es gibt kein Oberlicht. Nach anderen erhöhten Punkten, die sich für einen Überraschungsangriff eignen würden, habe ich schon gesucht. Erfolglos. Die Wände sind glatt, das Zimmer ist leer, bis auf ein Feldbett, ein Waschbecken und einen Eimer.
    Der Lüftungsschacht. Ich schiebe das Feldbett vor den Lüftungsschacht, steige drauf und strecke mich, so weit ich kann. Meine Finger reichen gerade so an den Luftzug, aber die Pads an meinen Handgelenken registrieren keine chemischen Erinnerungen. Keine Pheromone.
    Ich ziehe die Schuhe aus. Immerhin habe ich vier opponierbare Daumen, ein leichter Vorteil im Nahkampf. Einen Einzelnen könnte ich vielleicht überwältigen. Ich balle Hände und Füße zu Fäusten. Vielleicht.
     
    Solide Ziegelwände, schlampig mit Mörtel verkleistert. Ich haue mit dem Eimer dagegen und horche auf das Echo. Kein Echo. Ich lausche an der Tür. Nichts. Wieder versuche ich, den Türknopf herumzudrehen.
    Zur Ablenkung berechne ich die Kräfte, die auf Tür und Türrahmen wirken, und überschlage den Druck, der auf den untersten Ziegeln lastet. Ich schätze ab, mit welcher Kraft und in welchem Winkel ich dagegen treten müsste, um sie zu zertrümmern. Schon der Versuch wäre sinnlos. Genauso sinnlos wie meine Kalkulationen.
    Ich folge den Mörtellinien mit den Augen. Über der Tür entlang, um die Ecken. Ich suche nach einem Weg, der jeden Zentimeter Mörtel einschließt, ohne zu überlappen. Ein gutes, beruhigendes Gefühl, aber absolut bedeutungslos. Ich weiß, dass es nichts bringt, aber was soll ich sonst tun?
    Als ich fertig bin, fange ich von vorne an.
    Beim dritten Mal höre ich ein Kratzen und Schlurfen im Flur. Ein erstickter Schrei, Füßetrampeln auf dem Boden. Ich unterbreche meinen Weg durch das Mörtellabyrinth; mit den Augen fixiere ich die Stelle, an der ich stehen geblieben bin. Als es wieder still wird, mache ich weiter.
     
    Ein tiefes, dumpfes Vibrieren reißt mich aus meinen Alpträumen.
    Wie vorhin ist das Zimmer hell erleuchtet; zum Schlafen hatte ich mir das Laken über den Kopf gezogen. Die Haut um die Interface-Buchse brennt.
    Ich lege eine Hand auf die Tür.
    Was ist das? Donner?
    Wieder dieses tiefe, dumpfe Vibrieren. Ich ziehe mir die Schuhe an. Man weiß ja nie.
     
    Irgendetwas kommt auf mich zu. Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist stark. Stärker als ich.
    Durch das endlose Warten, durch die Langeweile, bin ich immer unruhiger geworden. Jeder Muskel meines Körpers ist gespannt.
    Ich bin bereit.
    Wieder dieses Geräusch. Ich balanciere auf dem Türknauf, ein Ohr gegen den Spalt am oberen Rand gepresst. Hier hat sich der Rahmen so stark verzogen, dass ich die langgezogene Neonröhre draußen an der Flurdecke erkennen kann.
    Jetzt weiß ich, was es ist: einstürzende Mauern. Als der Lärm verklingt, wird es umso stiller. Trotzdem höre ich etwas. Etwas anderes.
     
    Ich zähle die Sekunden, die ich schon in dieser Zelle sitze. 40 310. 40 311. 40 312.
    Irgendetwas kommt auf mich zu. Bald kann

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