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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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einem Durchmesser von sechzig Metern, wand sich um das tragende Kabel, das den Torus mit der irdischen Ankerstation verband.
    Ich rieb die Füße aneinander, eine kleine Massage der Zehenglieder und Mittelfußknochen. Früher, auf der Erde, hatte ich gedacht, meine modifizierten Füße seien dazu da, auf Bäume zu klettern, Felswände zu erklimmen und so weiter. Erst auf Columbus Station hatte ich begriffen, dass ich für die Bewegung im schwerelosen Raum geschaffen war. Stundenlang hatte ich dort oben Sehnen und Muskeln gedehnt, bis ich eine ungeahnte Grifffestigkeit und Gewandtheit erreicht hatte. Und jetzt wurden meine Füße, jetzt wurde mein ganzer Körper von der Schwerkraft zu Boden gedrückt. Ich fühlte mich wie erschlagen.
    Durch Stroms Augen sah ich, wie sich die Rundung des Erdballs langsam zu einem Horizont abflachte. Von hier aus konnten wir das Wetter über dem Amazonas, ja über ganz Südamerika beobachten. Zum Beispiel das Tropentief, das sich über dem Atlantik zusammenbraute, genauso träge und langsam wie meine Gliedmaßen bei voller Gravitation. Ich fühlte mich, als würde ich eine neue Welt betreten, eine Welt aus Wetter, Erdanziehung und Schmerz.
    Wenn wir uns ein Ticket kaufen, das heißt, wenn wir überhaupt unsere Credit Chits benutzen, wissen sie sofort, wo wir sind. Am Geruch erkannte ich, von wem der Gedanke stammte: von Meda. Ihre Beiträge waren mit Erinnerungen aus der Tiefe ihres Gedächtnisses angereichert – McCorkles verräterischer Gesichtsausdruck in Hiltons Büro, unsere Credit Chits, ein Bild eines Scryfejet. Letzteres löste bei Quant einen untergeordneten Bewusstseinsprozess aus, in dem sie sämtliche Leistungsdaten dieser Aircar-Klasse zusammenstellte.
    Bis wir wissen, welche Parteien im OG gegen uns vorgehen, müssen wir extrem vorsichtig sein. Wir müssen inkognito reisen. Moiras Gedanken waren exakt. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Meda, die vielschichtige, mit zahlreichen Konnotationen versehene Aussagen traf, legte sie Wert auf Präzision. Oberflächlich betrachtet waren die beiden Zwillinge, aber ihr Denken war wie Blitz und Donner.
    Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass sich Zwillingspaare in größere Pods integrierten. Unser Arzt hatte sogar mehrere Studien veröffentlicht, um die einigende Kraft von eineiigen Zwillingen im Kontext eines Pods zu belegen. Als ein Bild meiner eigenen Zwillingsschwester Corrine vor meinem inneren Auge erschien, wischte ich es weg. Ich gestattete mir keine Eifersucht auf Moira und Meda; lieber konzentrierte ich mich auf den brennenden Schmerz in meinen Füßen.
    Quant lächelte mich an. Strom kann dich tragen. Dann kannst du alle vier Daumen benutzen.
    Alle vier Daumen! Darum ging es doch gar nicht! Aber ich hielt den Gedanken zurück und nickte stumm.
    Ja, sandte Strom, ich kann dich tragen. Strom war unsere Kraft, unsere Stärke, unsere Unschuld. Falls nötig würde er uns alle tragen, bis er zusammenbrach. Daran zweifelte ich keine Sekunde.
    Was soll ich denn mit vier Daumen?
    Stimmt schon, sandte Quant, vier Daumen sind genauso nutzlos wie ich in einer Gravitationssenke.
    Wir sind alle nutzlos, meinte Meda. An diesen Konsens hielten wir uns seit unserem Gespräch mit Mother Redd. Ziellos, zwecklos, ein verpfuschtes Leben.
    Moira wechselte das Thema. Im Moment wissen sie auf jeden Fall, wo wir sind. Sicher warten die OG-Präfekten unten an der Ankerstation schon auf uns.
    Wir hätten auf dem Ring bleiben und bis zur Galapagos-Linie reisen sollen, meinte Quant, und sie hatte absolut Recht: Ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen umspannte den gesamten Kreisumfang des Rings, und rund um den Äquator gab es ein Dutzend Aufzüge. Wir hätten jeden benutzen können, hatten uns aber für den nächstgelegenen entschieden.
    Nein! Sofort schlug uns Medas konzentrierter Ekel entgegen, obwohl wir mittlerweile wussten, dass der Ring menschenleer war. Keine Sekunde länger!
    Na ja, vielleicht haben wir Glück, sandte Quant. Der Macapá-Anker liegt mitten in einer Singleton-Enklave. Da kommen die nicht so ohne weiteres hin.
    Aber die Ankerstation selbst ist Eigentum des Overgovernment.
    Wird aber nur noch von Robotern instand gehalten.
    Vorsichtig stellte ich mich auf meine wunden Füße. Egal, bald wissen wir sowieso Bescheid.
    Ich ging ans Fenster, die anderen kamen zu mir herüber. Mittlerweile war die Erde so nah, dass sie unser Blickfeld sprengte, und das Rund dehnte sich immer weiter aus, der Horizont schob sich immer weiter nach

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