Der Ring
hinten. Einhundert-fünzig Kilometer, war auf der roten Digitalanzeige des Höhenmessers zu lesen.
Der Atmosphärenrand kitzelte die Kabine, das Kabel zitterte.
»Falls die Präfekten wirklich auf uns warten«, sagte Strom und ballte die Hände zu Fäusten, »klären wir die Sache. Wenn nicht, sind wir frei.«
Frei.
Und trotzdem nutzlos.
Zuerst dachten wir, der Aufzug werde einfach im grünen Meer des Regenwalds am Rand des schlammig-braunen Amazonas versinken – bis sich der Morgennebel plötzlich zu einem gigantischen Finger formte. Die Ankerstation.
Die strecken uns den Mittelfinger entgegen, meinte Quant.
Ein gewölbtes, weißes Gebäude kristallisierte sich heraus, ganz anders als die übliche Architektur der Podgesellschaft, die sich am vergangenen Jahrhundert orientierte. Der Dschungel hatte den Anker eingekreist, aber vor dem versiegelten Pavillon haltgemacht. Vielleicht fürchtete er das riesige, leuchtende Monstrum, vielleicht hielt er es für einen Wal, der sich in der Regenzeit aus dem Fluss gewälzt hatte und hier gestrandet war.
Als der Lift abbremste, erhöhte sich der Druck auf meine Füße auf über ein g. Ich streckte mich, griff eine Stange und baumelte ein wenig hin und her, um meine Armmuskulatur zu dehnen.
Affe, sandte Strom. Gleich lernst du deine Cousins kennen.
Und wer sind deine Cousins? Die Bären?
Als er nickte, fing ich eine Spur Sehnsucht auf. Die Bären waren uns noch immer ein Rätsel, und für Strom waren sie zu einer Art persönlichem Totem geworden. Er – und damit wir alle – träumte mindestens jede zehnte Nacht von ihnen.
Jetzt sank die Kabine nur noch mit ein paar Metern pro Sekunde in die Tiefe. Im Süden lag der Amazonas und, an seinem Ufer, ein Dorf, das wahrscheinlich zur teilautonomen Singleton-Enklave gehörte.
Wann haben die das letzte Mal einen Aufzug runterkommen sehen?, fragte ich.
Vor dreißig Jahren.
Um uns herum wurde es dunkel, als sich die Kabine durch die Decke des Ankergebäudes senkte. Kurz darauf drang gleißendes Licht durch die Fenster, und der Aufzug bremste ein letztes Mal ruckhaft ab. Zischend öffnete sich die Tür, in meinen Ohren knackte es. Vor uns führte eine gewundene Rampe hinab ins Erdgeschoss.
Und kein Mensch weit und breit.
Natürlich nicht, sagte Moira.
Ihre ewige Besserwisserei ging mir auf die Nerven. Ich weiß.
Strom trat als Erster auf die Rampe. In gleichmäßigen Abständen von jeweils einem Meter waren Interface-Bänke in die gewölbten Seitenwände eingelassen, lauter Direktverbindungen zur verwaisten Community. Meda schüttelte sich.
Vorsichtig liefen wir die Rampe hinunter, vorbei an drei Stockwerken, bis wir uns in einem verglasten Atrium wiederfanden, das mit seinen dekorativen Plastiken und ordentlich aufgereihten Möbeln wie versteinert wirkte. Ein roter Sonnenaufgang ergoss sich in den Saal, und zum ersten Mal seit dreißig Jahren hatte er ein Publikum.
Strom trieb uns weiter an. Seine Anspannung übertrug sich auf uns, durchlief uns wie ein Kribbeln und sorgte für erhöhten Adrenalinausstoß – die Rückkopplung des Pods. Ohne Innehalten eilten wir auf zwei große Glastüren zu, die automatisch aufglitten, und traten in einen Hof. Doch die extreme Hitze und der fremdartige Geruch des süßlichen Blütenstaubs, der durch die schwüle Luft waberte, ließ uns sofort zurückprallen.
Sträucher und Blumen hatten die zwanzig Meter breite Freifläche überwuchert. Auf einem Baum hockte ein Schwarm Papageien und beäugte uns misstrauisch.
»Weiter!«
Auf der anderen Seite des Hofs stießen wir auf eine Schleuse. Die innere Tür öffnete sich und schloss sich in unserem Rücken.
Macht euch bereit, sandte Strom.
Das äußere Tor glitt auf.
Keine Präfekten. Weiter. Strom entspannte sich ein bisschen, da keine unmittelbare Gefahr auszumachen war.
Die Ankerstation selbst war in Synbeton eingefasst, aber rundherum verdunkelte eine Mauer aus Bäumen und Sträuchern den Himmel. Als Quant den Blick über den Dschungel schweifen ließ, spürten wir alle, wie ihr Geist die undurchdringliche Wand abtastete. Mit Erfolg – sie sah den Trampelpfad wie eine mathematische Abweichung, Rot auf Weiß.
In dieser Richtung liegt der Fluss, meinte sie. Also auch das Dorf.
Und was sollen wir da? Ich stieß Vetopheromone aus und hockte mich auf den Boden. Mit meinen schmerzenden Füßen konnte ich unmöglich durch den Dschungel wandern. Außerdem waren mir meine Schuhe auf einmal viel zu eng.
Moira pflanzte sich vor mir
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