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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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aufzufangen. Ich hielt mich fern, und als Moira mich in den Kreis ziehen wollte, riss ich mich los. »Das ist doch Zeitverschwendung. Gehen wir!« Ich war zugleich wütend und völlig verängstigt. Tatsächlich war meine Angst genauso groß wie meine Wut, aber es war leichter, die Wut zu zeigen.
    Strom nickte und übernahm wieder die Führung, die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und durch einen Notausgang, den er kurzerhand aufdrückte. Sofort heulte eine Sirene auf, ein grelles, elektronisches Pfeifen.
    Wir fanden uns in einer schmalen Gasse wieder, die zwischen den großen Anstaltsgebäuden hindurchführte. Minuten später hatten wir die Stadt hinter uns gelassen und rannten den Abhang zum Fluss hinunter. Ein paar Passanten starrten uns an, denn wir gaben ein ungewohntes Bild ab – fünf Patienten und ich als Pfleger –, aber niemand versuchte uns aufzuhalten.
    Im Vorbeilaufen sah ich zwei Aircars auf dem Landeplatz stehen; mit dem einen musste Anderson McCorkle gekommen sein, offenbar erst vor kurzem. Wahrscheinlich hatte er den Schlepper nach Sabah Station genommen, war von dort runter nach Indonesien und weiter mit dem Suborbital nach Südamerika. Ein beträchtlicher Aufwand an Reaktionsgas für die Jagd auf einen einzigen Pod.
    Mir lief ein Schauer über den Rücken. Wir hatten Feinde, die uns um jeden Preis töten wollten.
    Kurz spürte ich den Drang, meine Überlegungen mit dem Pod zu teilen, aber nur als kleinen Stich, den ich erstaunlich leicht ignorieren konnte. Ob auch das an der Droge lag? Vielleicht gewöhnte ich mich einfach langsam an das Leben als Singleton.
    Guerans Boot war nach wie vor am Steg vertäut – und es war leer. Während der Pod am Ufer stehen blieb, um sich zum Konsens zu versammeln, ging ich an Bord und startete den Motor. Jol hockte sich neben mich. »Kommt schon!«, rief ich. Worauf warteten die noch? Wir mussten hier weg, und zwar sofort.
    Der Pod blickte mich an, eine Sekunde lang, zwei, bis Strom nickte. Schnell stiegen sie ein, als Letzte Quant, die noch die Taue löste.
    »Hey! Wartet auf mich!«
    Gueran kam den Hügel hinuntergerannt. Er brüllte und ruderte mit den Armen.
    Der soll nur ordentlich schwitzen, dachte ich und steuerte das Boot ans Ende des Stegs. Erst im letzten Moment gab ich nach und klappte den Motor hoch, damit der Alte an Bord springen konnte.
    »Mehr Passagiere, mehr Bezahlung«, keuchte er sofort.
    Mit dem linken Fuß packte ich ihn am Kragen und zerrte ihn zur Seite, bis er über dem Wasser hing. Strom wollte mich aufhalten, musste sich aber wieder setzen, als das Boot bedrohlich schwankte. »Kein Problem, Gueran. Gleich sind wir wieder einer weniger. Die Kaimane haben sicher Appetit auf Schlange.«
    »Hey, das ist mein Boot!«
    »Du hast uns verraten. Für wen arbeitest du?«
    »Nein! Nein! Kann ich wissen, dass ihr einfach so umkippt? Was sollte ich tun? Ganzen Tag hab ich versucht, euch da rauszuholen! Wirklich!«
    Ich schlug ihm ins Gesicht und holte zum nächsten Schlag aus, als mir Moira in den Arm fiel. »Es reicht, Manuel.«
    Erst als ich ihr in die Augen blickte, begriff ich, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Ohne den Pod, der meine Emotionen stabilisierte, hatte meine Wut die Oberhand gewonnen. Abrupt schubste ich Gueran von mir weg, hockte mich auf die Planke neben der Pinne und ließ den Motor aufheulen. Jol lehnte sich an mich, während ich nachdachte: Wo hörte ich auf, wo begann der Pod?
     
    Eine Stunde später warteten wir am Ufer eines überwucherten Nebenflusses auf den Einbruch der Nacht. Keiner hatte noch die Kraft, unsere Reise in der Dunkelheit fortzusetzen. Ich sah schweigend zu, wie mein Pod das Lager vorbereitete. Natürlich dachten sie miteinander, natürlich flüsterten sie sich gegenseitig Gedanken zu, und doch hatten ihre synchronen Bewegungen etwas Geisterhaftes an sich. Als ich spürte, wie Medas Blick auf mir ruhte, zuckte ich die Achseln und wandte mich ab. Auch die anderen hatten einen Teil ihrer selbst verloren, nicht nur ich.
    Anstatt mich zu ihnen zu setzen, lief ich in den Wald. Sekunden später war unser Lager hinter der smaragdgrünen Blätterwand verschwunden. Meine Schritte scheuchten einen kleinen Frosch auf, der schnell aus dem Weg hüpfte und auf dem nächsten Blatt landete, wo er sich mit seinen breiten Zehen festhielt. Ich schlich mich von hinten an und fing ihn in der Hand. Die Saugnäpfe an seinen dreigliedrigen Vorder- und Hinterbeinen kitzelten meine Finger – nützliche, bis ins Detail

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