Der Ripper - Roman
nicht dumm zu sein.«
»Der Mann würde sich an mich ranmachen. So sind die Männer nun mal.«
»Jesse, er ist verheiratet.«
»Das wird ihn bestimmt nicht davon abhalten. Er wird warten, bis er mich allein erwischt, vielleicht heute Abend, wenn seine Frau schläft. Vielleicht versucht er es auch direkt vor ihren Augen. Manchen Burschen ist es egal, wer zusieht.«
»Du bist albern.«
»Ich weiß, was ich weiß. Das wird passieren, so wahr ich hier sitze. Und dann bin ich gezwungen, ihn mein Messer schmecken zu lassen. Vermutlich wird die Witwe den Kopf verlieren, wenn sie sieht, wie ich ihren Mann zugerichtet habe. Dann ist es ganz egal, dass er ein Taugenichts war, ohne den sie viel besser dran ist. Er war ihr Ehemann und der Vater des Jungen, also wird sie verrückt spielen, nach der Waffe greifen und mich erschießen. Dann wäre ich tot. Und weißt du was? Die ganze traurige Angelegenheit wäre deine Schuld, weil du mich an diese Leute abgeschoben hast.«
Ich drehte mich im Sattel herum und blickte sie an. Ihre Miene war finster, aber in ihren grünen Augen funkelte wie immer der Übermut.
»Wann genau hast du vom Brot der Erkenntnis gekostet?«, fragte ich.
»Was meinst du denn damit?«
»Ich habe selten so einen Humbug gehört.«
»Humbug?«
»Unvorstellbarer Unsinn.«
»Du hast eben keine Ahnung.«
Als der Wagen herankam, trat General zurück, ohne dass ich ihn dazu auffordern musste. Aber es erwies sich als unnötig. Der Mann auf dem Kutschbock zügelte die Mulis rechtzeitig, so dass er uns auch nicht überfahren hätte, wenn wir stehen geblieben wären.
»Was gibt’s?«, fragte er mit einem so starken deutschen Akzent, dass man ihn kaum verstehen konnte. Ich war in meiner Heimat Deutschen begegnet, daher war mir die seltsame, feuchte Aussprache bekannt.
Bevor ich antworten konnte, sagte Jesse: »Nichts. Alles in Ordnung.«
Er sah sie mit finsterer Miene an. Seinem Aussehen nach zu urteilen war er ein harter Mann. Vielleicht hatte Jesse mit ihrer Bemerkung, er würde seine Familie gern mit der Pferdepeitsche traktieren, gar nicht so falsch gelegen. Die Frau an seiner Seite hielt den Kopf gesenkt wie ein scheues Reh. Sie trug einen weißen Leinenhut, der ihr Gesicht verborgen hielt. Der Junge im hinteren Teil des Wagens beobachtete uns, sagte aber kein Wort.
»Ist das da Ihre Schwester?«, fragte der Mann.
»Sie hat ihr Pferd verloren«, erklärte ich. »Ich nehme sie nur mit.«
»Ach so«, meinte er. Er runzelte die Stirn. »Wir nehmen das Fräulein mit. Sie kommt mit uns, ja?«
Da hob seine Frau den Kopf. Ihre Wangen waren knallrot, sie kaute auf der Unterlippe herum und starrte Jesse nervös an.
Und dann schüttelte sie den Kopf, kaum mehr als eine Andeutung, doch dem Mann neben ihr entging das nicht. Er fauchte sie mit ein paar Worten seiner Muttersprache an. Für mich ergaben sie keinen Sinn, aber die Frau zuckte zusammen und senkte den Kopf.
Nachdem er sie zurechtgewiesen hatte, schenkte er mir ein boshaftes Grinsen und sagte: »Wie viel wollen Sie für sie haben? Ich gebe Ihnen fünf Dollar, ja?«
»Das denke ich nicht«, erwiderte ich.
»Neun?«
»Er will mich kaufen , Trevor!«
»Sie ist nicht zu verkaufen«, sagte ich.
»Aber sicher doch. Wie viel?«
»Keiner rührt mich an, du verdammtes Stinktier!«, fauchte Jesse.
Er sprang auf, deutete auf sie und fauchte: »Schlampe!«
Das Wort war noch nicht ganz ausgesprochen, als ich auch schon den Colt in der Hand hielt.
Er warf einen finsteren Blick auf die Waffe, dann bedachte er mich wieder mit seinem öligen Grinsen. »Zehn Dollar?«
»Verschwinden Sie«, sagte ich, lenkte General zur Seite und gab ihm die Sporen. Wir galoppierten den Pfad entlang, bis der Wagen nach einer felsigen Kurve aus der Sicht verschwand.
Bald darauf ritten wir wieder Schritttempo. Jesse lehnte den Kopf an meine Schulter. Ihr Haar kitzelte meinen Nacken. »Ich bin froh, dass du mich nicht an dieses Schwein verkauft hast«, sagte sie.
»Ich frage mich, ob er auf zwanzig raufgegangen wäre.«
Sie versetzte mir einen ordentlichen Kopfstoß. Etwas später vernahm ich ein Geräusch, das sich wie ein Schluchzen
anhörte. Einen flüchtigen Augenblick lang kam mir der Gedanke, sie könnte weinen, aber das schien unwahrscheinlich. Nicht Jesse.
»Du kannst so lange mit mir reiten, wie du Lust hast«, sagte ich dann doch, nur für den Fall, dass sie sich noch immer Sorgen machte. »Ich werde nicht noch einmal versuchen, dich loszuwerden. Oder gar dich
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