Der Ripper - Roman
letzte Knoten saß zu fest. Ich bekam ihn nicht auf, also bückte ich mich und ging ihn mit den Zähnen an. Der Geschmack erinnerte mich daran, wie ich an Bord der Jacht Trudys Knoten durchgebissen hatte. Plötzlich hatte ich wieder alles vor Augen, was mit der armen Frau passiert war, und wie ich bei ihrer Rettung vollkommen versagt hatte.
Jesse unterbrach meine Gedanken, und ich war froh darüber. »Das verdammte Stinktier hat sich gefreut wie ein Schneekönig. Du hättest sehen sollen, wie er mich betatscht hat. Hat mich überall abgeschleckt, nachdem er mich festgebunden hatte. Ich weiß nicht, wieso er aufhörte und sich nicht das geholt hat, was er haben wollte. Er hörte einfach auf, grinste und sagte: ›Wir machen später weiter, ja? Ich muss Eva und Heinrich finden.‹ Dann ist er flussabwärts gezogen.«
»Er hätte flussaufwärts gehen sollen«, erwiderte ich. »Dort sind sie.«
»Du hast sie gesehen?«
»Sie sind tot.«
»Geschieht ihm recht. Ich schätze, er hätte seine Frau sowieso erschossen, falls sie noch am Leben gewesen wäre. Er hatte beim Aufbruch so einen seltsamen Ausdruck im Gesicht.«
Ich löste den Knoten, warf das Seil beiseite und stand auf. »Am besten machen wir uns aus dem Staub, bevor …«
Jesse griff nach der Winchester. Sie hatte sie noch nicht richtig angelegt, als ein Schuss die Stille zerriss. Eine Speiche des Wagenrades explodierte und schleuderte Splitter in Jesses Haar. Sie feuerte, und ich wirbelte herum und griff nach meinem Schießeisen.
Jesses Kugel zerschmetterte dem Deutschen das Knie. Er stand etwa vierzig Schritte südlich von uns, völlig ungedeckt, und hebelte eine Patrone in den Lauf seines Henry. Die Kugel durchschlug sein Bein. Blut spritzte. Er schrie auf und stolperte nach hinten. Als er das Gewicht wieder auf das getroffene Bein verlagerte, knickte sein Knie ein.
In diesem Augenblick traf ihn meine erste Kugel. Sie durchschlug seinen Unterarm. Der Gewehrkolben wurde zur Seite gestoßen und traf ihn am Kinn. Er riss die Arme hoch. Das Gewehr fiel zu Boden. Ich schoss ihm eine Kugel in den Bauch. Er stand noch immer auf einem Bein, sackte aber schnell zusammen. Bevor er auf dem Boden auftraf, hatte er noch drei Kugeln in der Brust. Er landete flach auf dem Rücken und fing an, sich zu winden. Hinter mir ging ein Gewehr los. Die Kugel traf ihn unter dem Kinn. Er zuckte noch einmal und lag dann still da.
Ich drehte mich um, und da stand Jesse mit angelegter Winchester und riss den Ladebügel herunter. Sie zielte auf den Deutschen, schoss jedoch nicht. Schließlich ließ sie das Gewehr sinken. Sie sah mich an. In ihren grünen Augen lag ein wilder Ausdruck, der das übliche übermütige Funkeln völlig verdrängte. Sie holte tief Luft. Als sie aufatmete, zitterten ihre Schultern leicht.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
Sie nickte. Dann klemmte sie das Gewehr fest unter den Arm. Es drückte gegen ihre Brust und schob sie ein Stück nach hinten. Es war ein aufregender Anblick. Doch ich ließ mir nichts anmerken und sah schnell beiseite.
Wir gingen zu dem toten Deutschen und sahen ihn wortlos an. Ich lud den Colt nach. Meine Hände zitterten.
»Du brauchst ein Hemd«, sagte ich schließlich.
»Du hast seins ziemlich durchlöchert.« Jesse ging neben dem Toten in die Hocke, legte das Gewehr ab und zog das Bowie-Messer aus seinem Gürtel. Sie schob es sich in den Stiefel. Dann fing sie an, das Hemd aufzuknöpfen. Es war blutgetränkt. »Das Blut kann man sicher auswaschen.«
»Wenn du willst, kannst du mein Hemd haben.«
»Das hier tut’s schon.«
Nachdem alle Knöpfe geöffnet waren, zerrte ich den Oberkörper des Toten hoch und kippte ihn nach vorn. Ich hielt ihn fest, während Jesse sein Hemd auszog. Dann ließ ich ihn wieder herunter. Wir gingen zum Flussufer, und Jesse hockte sich auf einen Felsblock und wusch das Hemd.
Ich sah ihr zu.
Wir hatten gerade einen Mann getötet. Ich hatte den größten Teil des Morgens mit der Toten und ihrem Sohn verbracht.
Die ganze Nacht hatte ich Jesse für tot gehalten.
Aber dort war sie, am Leben, und wusch Blut aus einem Hemd.
Mir war übel, mein ganzer Körper schmerzte.
Aber wie ich da so stand und Jesse zusah, fühlte ich mich einfach großartig. Ihre Hose war ein Stück heruntergerutscht. Ihr feuchter Rücken leuchtete im Sonnenlicht. Er war an einigen Stellen zerkratzt und zerschunden, doch ansonsten makellos. Unter der Haut zeichnete sich ihr Rückgrat ab. Ihre Schulterblätter bewegten sich.
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