Der Ripper - Roman
die Abzüge durch. Statt der erwarteten Detonationen ertönte ein metallisches Klicken.
Whittle stieß die Tote von sich. Als sie vornüber fiel, standen wir uns einen Augenblick lang Angesicht zu Angesicht gegenüber. Durch Schwaden von Pulverdampf sah ich, dass meine letzte Kugel seiner Wange einen Streifschuss verpasst hatte. Ansonsten schien er unverletzt. Er trug eine Nasenklappe aus schwarzem Satin.
Da er seinen Revolver nicht auf mich richtete, ging ich davon aus, dass er ebenfalls keine Munition mehr hatte. Auf seiner Brust kreuzten sich zwei schwarze Ledergürtel, die jeweils eine Messerscheide hielten. Mächtig große Messer. Da ich Whittle kannte, waren die Messer keine
Überraschung. Aber der funkelnde Stern auf seinem eleganten weißen Hemd überraschte mich dann doch.
Ein Sheriffstern!
Das alles nahm ich in der Zeit eines Lidschlags auf, dann sprang Whittle zur Seite.
Ich wirbelte zu Jesse herum, schrie »Erschieß ihn!« und sah, dass sie ihren Revolver noch immer mit Patronen fütterte.
Als ich Whittle wieder ins Auge fasste, stürmte er dem Ausgang entgegen.
Ich schob die Colts in den Gürtel, ließ mich auf die Knie fallen und durchwühlte mit beiden Händen den Kleiderberg, bis meine Finger einen Revolver ertasteten. Ich riss ihn aus dem Holster, wirbelte herum und schoss.
Die Kugel ließ Funken von der Felswand neben Whittles Schulter aufstieben. Doch bevor ich erneut schießen konnte, verschwand er in der Dunkelheit. Ich leerte den Revolver dennoch, in der vagen Hoffnung, einer der Querschläger würde ihn erwischen. Doch kein Aufschrei ertönte. Also hatte ich ihn vermutlich verfehlt.
Ich warf den geborgten Revolver zu Boden. »Verdammt!«
»Lass den Kopf nicht hängen«, sagte Jesse. Sie hörte sich mächtig ruhig an. Auch sie sah zu der Stelle hin, wo Whittle verschwunden war. »Wir werden ihn kriegen.« Sie ließ die Ladeklappe ihres Colts zuschnappen. »Du solltest lieber nachladen, bevor er zurückkommt.«
Ich stand wieder auf, und erst da bemerkte ich, dass Jesse verwundet war. Ihr linkes Hosenbein war blutgetränkt und klebte auf ihrer Haut, der Einschuss befand sich in ihrem Oberschenkel. Meine Eingeweide zogen sich zusammen.
»Er hat dich erwischt!«, stieß ich hervor.
»Nun, ich schätze, ich werde es überleben. Ich kümmere mich schon darum. Du lädst in der Zwischenzeit nach.«
Meine Hände zitterten so stark, dass mir das Nachladen schwerfiel. Dass ich außerdem nach Whittle Ausschau hielt und Jesse keinen Augenblick lang aus den Augen lassen wollte, machte es auch nicht leichter, die leeren Hülsen aus der Trommel zu befördern und sie durch neue Patronen zu ersetzen.
Jesse hockte sich auf die Kleider der Toten und zog das Messer aus dem Stiefel. Damit trennte sie das Hosenbein ab.
Als ich das Loch in ihrem Schenkel sah, ließ ich ein paar Patronen fallen.
Jesse drehte das Bein. An der Außenseite des Schenkels war ein zweites Loch, etwa acht Zentimeter von der Eintrittswunde entfernt. Beide Wunden bluteten.
»Die Kugel ist nicht stecken geblieben«, sagte sie.
»Das ist doch gut, oder?«, fragte ich mit einem schrecklichen Gefühl in der Magengrube, das mir jede Kraft zu rauben schien.
»Tja, ich hätte ja lieber nur ein Loch statt zweien.« Jesse sah zu mir hoch und lächelte.
Ich hob die Patronen auf, die ich fallen gelassen hatte, schob sie in die Trommel, überprüfte beide Colts, ob sie auch richtig geladen waren, und schob sie in meine Holster. Dann kniete ich neben Jesses verletztem Bein nieder.
»Tut es arg weh?«
»Nun, schön fühlt es sich bestimmt nicht an.«
»Halte du nach Whittle Ausschau, und ich verbinde die Wunde.«
Jesse nickte und überließ mir das Messer. Dann lehnte sie sich zurück, stemmte sich auf einen Ellbogen, hob den Revolver und legte ihn sich auf den Bauch.
»Um ein Haar hätten wir ihn erwischt«, meinte sie.
»Ich habe ihm ein Stück vom Gesicht weggeschossen.«
»Schade, dass es nicht mehr war.«
Ich hob ein Kattunkleid mit einem verblichenen Blumenmuster auf und riss und schnitt es in Streifen. Der erste diente zusammengefaltet als Kompresse, die ich behutsam eine Zeit lang gegen die Wunden drückte.
»Du scheinst nicht allzu stark zu bluten«, murmelte ich.
»Glaubst du, er reitet los und lässt uns zurück?«
»Das bezweifle ich.«
»Ich hoffe, du hast Recht. Mir würde es gar nicht gefallen, wenn er uns entkommt.«
»Ich hoffe bloß, dass wir hier wegkommen.«
Mit einem langen Stoffstreifen befestigte
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg