Der Ripper - Roman
erschießen können.«
»Okay. Aber wenn wir es so machen wollen, sollten wir sehen, dass wir etwas Schlaf bekommen. Willst du zuerst? Ich halte Wache.«
»Damit du allein in die Höhle kannst, was?«
»Wie kommst du denn darauf?« Jesses Zähne blitzten, doch in der Dunkelheit sahen sie grau aus.
»Das ist nicht komisch.«
»Trevor, ich bin halb verrückt vor Angst. Ich will die Sache hinter mich bringen, und das wird erst dann der Fall sein, wenn Whittle tot ist. Aber ich bin sicher nicht so dumm, mich ihm allein entgegenzustellen. Hältst du mich für verrückt?«
Ich war mir nicht sicher, ob sie das alles ernst gemeint hatte. Aber eine Diskussion hätte zu nichts geführt. »Ich bin sowieso nicht müde«, sagte ich.
»Du vertraust mir nicht, stimmt’s?«
»Das ist es nicht. Wie soll deiner Meinung nach ein Mensch schlafen können, wenn …«
Ein Schrei ertönte.
52
Whittles Höhle
Jesse grub die Finger in meinen Arm.
Wir starrten einander in der Dunkelheit an, während der Schrei durch die Nacht hallte und erstarb.
»Mein Gott«, murmelte Jesse.
»Es kam aus der Höhle, nicht wahr?«, fragte ich.
»Er hat ein Mädchen da drin.«
»Wo soll er das denn herhaben?«
»Was weiß ich? Das spielt doch keine Rolle.«
Eine Höhle war kein Ort für ein Gewehr, also ließ ich es auf dem Felsen liegen. Ich stand auf. Jesse schloss sich mir an. »Bleib hier!«, fauchte ich sie an. »Das ist mein Ernst! Du bleibst hier!«
Sie zog ihren Sechsschüsser. »Gehen wir.«
»Jesse!«
»Na los! Das Mädchen wird nicht ewig durchhalten.«
Ich rannte auf die Höhle zu, Jesse auf den Fersen. Wir erreichten den Eingang. Ich schob mich zuerst hinein und ging sofort in die Hocke.
Eigentlich hatte ich mit völliger Dunkelheit gerechnet. Aber ein Stück voraus flackerte ein Licht, das möglicherweise von einem hinter einer Biegung befindlichen Feuer stammte.
Zwischen dem Licht und uns herrschte tiefstes Dunkel.
Da ich beide Hände brauchte, steckte ich die Colts weg. Ich setzte mich in Bewegung, und Jesse packte meinen
Hemdenkragen. Tief gebückt und mit ausgestreckten Armen tastete ich mich langsam voran.
Ich hatte keine fünf Schritte gemacht, da hallte der nächste Schrei durch die Dunkelheit. Er schien die Luft erzittern zu lassen und kündete von unerträglichem Schmerz.
»Was tut er ihr nur an?«, flüsterte Jesse.
Nun, da hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung.
Aber sie ist noch nicht tot, sagte ich mir. Vielleicht sind wir gerade rechtzeitig gekommen, um sie zu retten.
Ich tastete mich weiter voran. Die kühle Höhlenluft roch jetzt leicht nach Verwesung, und ich erinnerte mich daran, was Barney Dire uns über den Gestank erzählt hatte. Vermutlich näherten wir uns Whittles Sammlung toter Frauen. Mit jedem Schritt wurde der Gestank schlimmer.
Der flackernde, orangerote Lichtschein war nicht mehr als etwa zwanzig Schritt entfernt, als der dritte Schrei ertönte. Obwohl er mir in den Ohren wehtat, war ich doch froh, ihn zu hören.
Durchhalten, Lady.
Noch immer lag die Lichtquelle hinter der Biegung verborgen, aber langsam konnte ich mehr erkennen. Ich zog die Colts, Jesse ließ meinen Kragen los.
»Vorsichtig jetzt«, flüsterte sie.
»Bleib hinter mir«, warnte ich und trat um die Biegung.
Und erstarrte.
Mit den auf grässliche Weise zur Schau gestellten Leichen hatte ich gerechnet. Sie lagen überall in der großen Höhle, zerstückelt und verstümmelt, an den Wänden aufgesetzt oder so arrangiert, als wären sie in unaussprechlichen
geschlechtlichen Aktivitäten ineinander verschlungen. Einige lagen auch einfach nur auf dem Boden. Sie alle wurden von einer Reihe Fackeln beleuchtet, die zwischen den Felsspalten steckten.
Whittle hatte keine der Toten geköpft, ihnen aber das Haar genommen. Vermutlich hatte er es wie das Werk von Indianern aussehen lassen wollen. Überall standen lange Stangen, von denen die Skalpe wie Fahnen herunterbaumelten - einige Pfähle hielten aber auch andere Trophäen. Auf einigen steckten Herzen. Auf anderen Brüste. An einigen waren Körperteile befestigt, die ich nicht erkannte.
Nur das, womit ich fest gerechnet hatte, war nicht zu sehen - Whittle, der fleißig damit beschäftigt war, eine Frau zu foltern.
Ich betrat die Höhle. Dabei hatte ich ganz vergessen, dass sich Jesse an meiner Seite befand, bis ich ihr Stöhnen hörte. Mit weit aufgerissenen Augen nahm sie dieses Bild des Schreckens auf. Ihr Mund war geschlossen, sie presste die Lippen so fest
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