Der Ripper - Roman
um meinen Fuß. Als ich fertig war, hatte Chase die Brücke fast erreicht. Ich sah zu, bis er den Abhang hinuntergeritten und aus meinem Blickfeld verschwunden war.
Aller Wahrscheinlichkeit nach stand ich nicht länger unter Beobachtung. Ich befand mich nicht länger in den Händen der Gesetzlosen. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mich verfolgen würden, wenn ich jetzt den Bahndamm hinunterlief und im Wald verschwand. Ich wäre sie los.
Es würde ihnen in keiner Weise schaden.
Was man von den Passagieren des Zuges nicht behaupten konnte.
Außerdem würde ich die Gelegenheit versäumen, aus erster Hand zu erleben, wie eine Bande echter Desperados einen Zug überfiel.
Und so blieb ich auf den Gleisen.
Kurz darauf ertönte in der Ferne das Schrillen einer Dampfpfeife.
29
Der Überfall
Der Zug näherte sich, sein Schornstein stieß schwarzen Rauch aus, der sich über alle Waggons verteilte. Von meinem Standpunkt aus hatte es den Anschein, als bewegte er sich langsam und lautlos.
Er wurde schneller und lärmender, je dichter er herankam.
Bald begann der Boden unter meinen Füßen zu beben.
Ich blieb zwischen den Schwellen stehen und ruderte mit den Armen. Die Dampfpfeife schrillte, als wollte sie mich lautstark verjagen. Der Lokführer lehnte sich aus dem Fenster und machte mir mit dem Arm Zeichen. Er rief auch etwas, aber ich konnte ihn nicht verstehen.
Der Zug donnerte weiter auf mich zu.
Dann erscholl ein ohrenbetäubendes Kreischen. Die Lokomotive spuckte zischend Dampf aus, der sich in weißen Wolken auf die Schienen ergoss. Die Räder ließen Funken von den Schienen emporstieben, als sie blockierten.
Ich sah, dass der Zug nicht rechtzeitig zum Stehen kommen würde, also sprang ich zur Seite. Nur eine Sekunde später schob sich die große Maschine vor die Sonne. Ich hielt mir die Ohren zu. Meine Beine wurden in Hitze getaucht, aber es tat nicht sehr weh. Der Zug kam quietschend und kreischend zum Stehen.
Ich hatte es geschafft!
Lokführer und Heizer sprangen beide von der Lokomotive. Sie sahen nicht sehr erfreut aus.
»Du willst wohl früh ins Grab, Sohn«, sagte der Lokführer. Er war ein älterer Mann in einem Overall und einem hohen, gestreiften Hut.
Der andere Mann, der Heizer, sagte kein Wort. Er baute sich mit in die Seiten gestemmten Fäusten vor mir auf und funkelte mich böse an. Er war schweißüberströmt und besaß mehr Muskeln, als ich je bei einem Mann gesehen hatte. Selbst sein Gesicht war muskulös.
»Es tut mir leid, aber ich bin gestern Abend aus dem Zug gefallen«, sagte ich.
»Du bist vom Zug gefallen?«
Der Heizer schüttelte den Kopf. Er kniff die Augen so eng zusammen, dass ich mich fragte, wie er überhaupt noch sehen konnte.
»Eigentlich hat mich jemand gepackt und heruntergeworfen .«
Der Heizer grinste.
Als ich dieses Grinsen sah, zerbrach ich mir nicht länger den Kopf darüber, ob ich diese Burschen vor dem bevorstehenden Überfall nun warnen sollte oder nicht.
»Ich habe bis El Paso bezahlt«, erklärte ich. »Ich wäre dankbar, wenn Sie mich mitnehmen würden.«
Der Lokführer rieb sich das Kinn und sah auf meine Füße.
»Bitte, Sir.«
Er seufzte. »Bis zum nächsten Bahnhof können wir dich mitnehmen. Da wir nun schon mal angehalten haben. Eigentlich wollte ich ja weiterfahren, aber du hast mit einer solchen Entschlossenheit versucht, uns aufzuhalten,
dass ich befürchtete, die Brücke wäre beschädigt. Ist die Brücke denn in Ordnung?«
»Ich könnte nicht behaupten, dass sie beschädigt ist. Allerdings sah sie irgendwie ziemlich unsicher aus. Sie würden gut daran tun, mit besonderer Sorgfalt weiterzufahren.«
Ich hörte hinter mir jemanden herankeuchen und drehte mich um. Es war der Schaffner, ein kleiner Bursche, der seine Mütze festhielt, damit der Wind sie ihm nicht vom Kopf wehte. Dass es eigentlich windstill war, störte ihn nicht. Von seiner Weste baumelte eine goldene Uhrkette. Sein rechter Rockschoß steckte hinter dem Griff des Revolvers unter dem Gürtel.
»Was haben wir denn hier?«, fragte er und musterte mich.
»Nehmen Sie ihn mit nach hinten«, sagte der Lokführer. »Er behauptet, gestern Abend vom Südexpress geschubst worden zu sein.«
»Hübscher Aufzug«, sagte der Schaffner.
»Beeilung«, sagte der Lokführer. »Wir verlieren Zeit.« Der Schaffner winkte mir zu, ihm zu folgen. »Ich danke Ihnen vielmals«, rief ich den anderen beiden zu und eilte hinter dem kleinen Mann her.
Da schrillte die Dampfpfeife
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