Der Riss im Raum
schreckliches Erlebnis zu schildern. »Ich weiß, es klingt unglaubwürdig«, schloß sie matt. Sie zitterte noch immer am ganzen Körper; ihr Puls raste.
Calvin sagte nichts, sondern tätschelte nur besänftigend ihren Rücken.
Schließlich seufzte sie, von einem letzten Schluchzer geschüttelt: »Ach, Calvin, ich hoffe ja nur, daß ich mir das alles bloß eingebildet habe! Vielleicht war es eine Halluzination – wäre das nicht immerhin denkbar?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte er knapp, hielt sie aber nach wie vor schützend in seinen Armen.
Jetzt, wo Calvin da war und sich um sie kümmerte, versuchte sie sogar, wieder zu lachen – auch wenn nicht mehr als ein dümmliches Kichern daraus wurde. »Herr Jenkins hat immer behauptet, ich hätte eine zu lebhafte Phantasie. Aber so wie jetzt sind mir die Gedanken nie durchgegangen; das ist doch gar nicht meine Art, oder?«
»Nein«, sagte er, und es klang sogar überzeugt. »Wonach stinkt es denn hier so erbärmlich?«
»Keine Ahnung. Vorher, ehe du kamst, hat es noch viel ärger gerochen.«
»Puh! Dagegen duftet ja selbst ein Misthaufen nach Rosen!«
»Calvin, noch etwas! Louise die Große hat sich heute schon einmal ganz seltsam gebärdet.«
»Inwiefern?«
Sie erzählte ihm, was am frühen Abend vorgefallen war. »Sie hat uns nicht wirklich angegriffen, sie war bloß aufs äußerste erregt. Louise ist ja harmlos und für eine Schlange eher zutraulich.« Sie seufzte ausgiebig. »Cal, leihst du mir bitte dein Taschentuch? Meine Brille ist total verschmiert; ich kann kaum noch etwas erkennen, und gerade jetzt brauche ich einen klaren Blick.«
»Mein Taschentuch ist leider nicht sehr sauber«, sagte er, fischte es aber trotzdem aus der Jacke.
»Immer noch besser als ein feuchter Rocksaum.« Meg spuckte auf die Gläser und wischte sie blank. Ohne Brille war Calvin für sie nur eine vage, verschwommene Gestalt. Das gab ihr den Mut, ihm zu gestehen: »Ich hatte ja so gehofft, daß du heute abend noch kommen würdest!«
»Und ich dachte, du wirst nicht mehr mit mir sprechen wollen. Ich kam nur, um mich zu entschuldigen – für das, was mein Bruder Charles Wallace angetan hat.«
Mit der für sie typischen brüsken Geste rückte Meg ihre Brille zurecht. Einen Augenblick schob sich der Mond aus den Wolken und tauchte Calvins zerknirschtes Gesicht in helles Licht.
»Du kannst ja nichts dafür«, sagte sie und gab ihm das Taschentuch zurück. »Cal, die Sache mit Louise und Herrn Jenkins … Ich muß da wohl total verwirrt gewesen sein … «
»Wie du meinst, Meg. Das ist dir bisher aber noch nie passiert, oder?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Ach was. Dieser Jenkins ist auch nicht mehr als ein Haufen Drachenscheiße.«
»Was sagst du da?« rief sie erschrocken.
»Drachenscheiße. Meine neueste Erfindung. Klingt doch besser als jeder andere Kraftausdruck.«
»Wie kommst du ausgerechnet darauf?«
»Jeder flucht von Zeit zu Zeit, und dieses Wort ergab sich einfach.«
Plötzlich zitterte sie wieder. »Calvin, bitte nicht. Bitte sprich es nicht aus! Darüber macht man keine Witze.«
»Was hast du gegen ›Drachenscheiße‹?« fragte er ganz ernsthaft.
»Cal, diese Sache mit Herrn Jenkins hat mich so durcheinandergebracht, daß ich für einen Augenblick sogar die Drachen vergessen habe.«
»Die – die was?«
In aller Eile erzählte sie von Charles Wallace und seinen vermeintlichen Drachen. »Und er hat bisher ebensowenig phantasiert wie ich.« Ausführlich schilderte sie, wie Louise den geheimnisvollen Schatten begrüßt hatte. »Und das war bestimmt nicht Herr Jenkins. Als Jenkins kam, war Louise alles andere als freundlich.«
»Das ist verrückt«, sagte Calvin. »Total verrückt.«
»Wir haben die – die Drachenlosung wirklich gesehen, Calvin! Oder vielmehr etwas, das wie Federn aussieht; es sind aber keine richtigen Federn. Charles Wallace hat eine mitgenommen. Und auch eine – eine Drachenschuppe. Das Zeug liegt haufenweise unter dem großen Felsen auf der oberen Wiese.«
Calvin sprang auf. »Dann nichts wie hin! Hast du eine Taschenlampe mit?«
Jetzt, unter Calvins Führung, wagte sie sich eher aus dem Garten. Zwar hatte sie immer noch Angst, aber vor allem ging es ihr darum, ihm zu beweisen, daß sie und Charles Wallace nicht bloß eine dumme Geschichte erfunden hatten. Daß Herr Jenkins sich in ein fliegendes Nichts am Himmel aufgelöst hatte, war hoffentlich nur ein Produkt ihrer Einbildung gewesen; doch die Drachen mußte es
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