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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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tatsächlich geben – wenn nämlich nichts von dem stimmte, was sie heute erlebt hatte, blieb ihr keine Wahl, als an ihrem Verstand zu zweifeln.
    Sie hatten den Rand der Wiese erreicht. Calvin nahm ihr die Taschenlampe aus der Hand. »Laß mich vorgehen.«
    Meg blieb ihm aber dicht auf den Fersen. Sie ahnte, daß er ihr nicht glaubte. Er ließ den Lichtkegel über den Fuß der Felsen gleiten, leuchtete dann einen kleinen, kreisförmigen Fleck aus – und in der Mitte dieses Kreises blitzte es plötzlich auf. Da lag etwas und glänzte wie Gold.
    »He!« rief Calvin.
    Meg kicherte aufgeregt und zugleich erleichtert. »Jetzt kannst du ›Drachenscheiße‹ sagen, wenn du willst. Zwar weiß niemand, wie die aussieht, aber was sonst sollte das sein?«
    Calvin kniete sich nieder und stocherte mit den Fingern in dem Häufchen von Federn und Schuppen herum. »Zugegeben«, sagte er, »das ist mehr als seltsam. Aber wo sind die Drachen? Sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.«
    »Jetzt glaubst du also selbst an die Drachen?« sagte sie.
    Calvin blieb ihr die Antwort schuldig. »Weiß deine Mutter davon?« fragte er statt dessen.
    »Charles Wallace hat die Feder beim Abendessen den Zwillingen gezeigt. Da hat auch Mutter sie gesehen. Sandy und Dennys meinten, das könne keine Vogelfeder sein, weil die Spindel anders gestaltet ist; und dann sprachen wir von etwas anderem. Ich glaube, Charles hat mit Absicht das Thema gewechselt.«
    »Wie geht es ihm eigentlich?« fragte Calvin. »Hat Whippy ihm arg zugesetzt?«
    »Er mußte schon schlimmere Prügel einstecken. Mutter legte ihm Kompressen aufs Auge, und es lief ganz schwarz und blau an. Damit dürfte die Sache erledigt sein.« Daß Charles so blaß war und kaum atmen konnte, wollte sie jetzt noch nicht erwähnen. »Man könnte meinen, wir leben mitten im Dschungel der Großstadt und nicht in einem verschlafenen, friedlichen Dorf. Kein Tag vergeht, ohne daß die großen Jungen auf Charles losgehen; Whippy ist also in bester Gesellschaft. Ach, Cal, warum wissen meine Eltern ausgerechnet alles über Physik und Biologie, haben aber nicht die geringste Ahnung, wie sie ihren Sohn vor diesen Rowdies schützen können?«
    Calvin setzte sich auf den kleineren der beiden Felsen. »Wenn es dir ein Trost ist, Meg: meine Eltern können wahrscheinlich nicht einmal zwischen Physik und Biologie unterscheiden. Wahrscheinlich täte sich Charles in einer Schule in der Stadt sogar leichter. Dort gibt es reiche Kinder und arme, schwarze und weiße, Einheimische und Ausländer; da fällt man nicht gleich auf, wenn man anders ist als die anderen. Hier bei uns tanzt selten jemand aus der Reihe. Natürlich sind die Leute irgendwie stolz darauf, daß eure Eltern im Dorf wohnen und Anrufe aus dem Weißen Haus bekommen – aber Außenseiter bleibt ihr Murrys trotz alledem.«
    »Du hast dich mit uns abgefunden.«
    »Auch die Zwillinge kommen gut zurecht. Weil sie es verstehen, mit den Wölfen zu heulen; das weißt du. Nichtsdestoweniger … – Siehst du: Meine Eltern sind in diesem Dorf aufgewachsen, so wie meine Großeltern und meine Urgroßeltern. Wir O’Keefes gelten vielleicht nicht viel bei den Leuten, aber zumindest sind wir keine Zugereisten.«
    »Ach, Cal —«
    Mit einem Schulterzucken wischte er seine trüben Gedanken fort. »Ich glaube, wir sollten jetzt ins Haus gehen und mit deiner Mutter sprechen.«
    »Nein.« Das war Charles Wallace. Plötzlich tauchte er hinter ihnen auf. »Mutter hat schon genug Sorgen. Warten wir damit, bis die Drachen zurückgekommen sind.«
    Meg sprang auf. »Charles! Warum liegst du nicht im Bett? Weiß Mutter, daß du das Haus verlassen hast?«
    »Ich war schon im Bett. Und Mutter weiß selbstverständlich nicht, daß ich fort bin.«
    » Selbstverständlich nicht?« rief Meg, den Tränen nahe. »Was heißt hier: selbstverständlich? Heute abend versteht sich nichts mehr von selbst.« Sie faßte sich wieder und sagte, ganz im Ton der älteren Schwester: »Du solltest dich um diese Zeit nicht hier draußen herumtreiben.«
    »Was war los?«
    »Wie meinst du das?«
    »Meg, ich bin doch nur gekommen, weil dich etwas geängstigt hat.« Er seufzte. Wie konnte ein kleiner Junge wie er nur so abgrundtief, so seltsam müde und – lebenserfahren seufzen? »Ich war schon beinahe eingeschlafen; da spürte ich deine Schreie.«
    »Frag nicht, was mir zugestoßen ist. Ich will doch versuchen, es zu vergessen. – Wo ist Fortinbras?«
    »Im Haus. Ich habe ihm

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